Jugendstil entdecken
Die tote Schöne – Ophelia und das Wasser
Schönheit – Wahn – Selbstbestimmung – abgewiesene Liebe – Romantik – Wasser – Tod … Die Geschichte um Shakespeares Ophelia aus dem Drama Hamlet birgt eine weite Palette an Assoziationsmöglichkeiten, die letztlich alle im romantisch verklärten Suizid der jungen Geliebten münden. Die fiktionale Gestalt der Ophelia als unmittelbarste Verknüpfung der Vorstellungen vom Wasser als Heilsbringer bis Todesschlund – wie konnte es nur so weit kommen?
Zur Erinnerung: Basierend auf dem Shakespeare’schen Drama, weist der emotional verwirrte Hamlet nach dem geisterhaften Erscheinen seines Vaters seine Geliebte Ophelia zurück, die daraufhin ebenfalls dem Wahn verfällt und im Wasser ihrem Leben ein Ende setzt. Im Bericht der Königin Gertrude heißt es:
Dort, als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde
An den gesenkten Ästen aufzuhängen,
Zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen
Die rankenden Trophäen und sie selbst
Ins weinende Gewässer. Ihre Kleider
Verbreiteten sich weit und trugen sie
Sirenen gleich ein Weilchen noch empor,
Indes sie Stellen alter Weisen sang,
Als ob sie nicht die eigne Not begriffe,
Wie ein Geschöpf, geboren und begabt
Für dieses Element. Doch lange währt‘ es nicht,
Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,
Das arme Kind von ihren Melodien
Hinunterzogen in den schlammigen Tod.
Shakespeare schuf mit Ophelia, die ihr Ableben im Wasser als Bestimmung ihres Lebens hinnahm, das Bild der „Schönen Toten“. Die rücklings im Wasser Ruhende, oftmals mit Blumen und Blättern umrahmt, kann als die ultimative Darstellung des Sich-Verbindens mit dem Wasser gelten. Und so bot die Erzählung der aus Liebe in die seelische Zerrüttung getriebenen Frau in ihrem Pathos und ihrer dramatischen Inszenierung eine Vielzahl an Reibungspunkten, die von den Kunstschaffenden des Jugendstils geschätzt wurden – insbesondere die Selbstaufgabe und Flucht zurück in die Natur. Denn verspricht das ewige Eintauchen ins Wasser als Element der Reinheit und Lebendigkeit in diesem Kontext nicht nur Selbstzerstörung, sondern auch eine Form der Selbstfindung; wenngleich diese mit der Beendigung des eigenen Lebens verknüpft war.
Ikonische Darstellungen präraffaelitischer Künstler wie John Everett Millais oder John William Waterhouse prägen daher bis heute das motivische Set-Up der Szenerie, in der Ophelia entweder bereits im Wasser treibend oder noch am Ufer verweilend kurz vor oder während ihres Todes gezeigt wird. Es sind Darstellungsformen, die in dieser Form ebenfalls von den französischen und deutschen Kunstschaffenden aufgegriffen wurden, wie die Beispiele Fritz Erlers und Paul Quinsacs aus der aktuellen Sonderausstellung „Wasser im Jugendstil“ oder auch die Darstellung Friedrich Heysers aus der Dauerausstellung Ferdinand Wolfgang Neess zeigen.
Ambivalente Gefühle zwischen dem Genuss dieser hochästhetischen Darstellungen und der Verstörung durch das Dargestellte dominieren seitdem international den Blick auf Ophelia. Es ist das Drama um den Kontrast zwischen jugendlicher Unschuld und brutalem Suizid, der nicht schöner schrecklich und nicht schrecklicher schön sein könnte. Und so bedient die Erzählung sowohl den melancholischen Symbolgehalt des Elements Wasser wie auch die Faszination um die „schöne (Wasser)Leiche“, die bis heute vielfach referenziert wurde – mit direktem Ophelia-Verweis besonders populär im Musikvideo von und mit Nick Cave zusammen mit Kylie Minogue („Where the Wild Roses Grow“, 1995) oder früher im Song „Desolation Row“ von Bob Dylan (1965):
Now Ophelia
She’s ’neath the window
For her I feel so afraid
On her twenty-second birthday
She already is an old maid
To her death
Is quite romantic
She wears an iron vest
Her profession’s her religion
Her sin is her lifelessness
And though her eyes
Are fixed upon
Noah’s great rainbow
She spends her time peeking
Into Desolation Row
Diese und weitere Facetten des symbolistischen bis lebensreformistischen Wassers – und wie sie bis heute debattiert werden – können in der Sonderausstellung „Wasser im Jugendstil“ erkundet werden.
Jana Dennhard