Kulturcampus MuWi

Schritt zurück ins kulturelle Leben

Man betritt einen Raum, dessen Aufmachung man zu kennen glaubt. Ein erkundender Blick schweift über die neue Bespielung der weißen Wände. Es dauert nicht lange, bis mir das erste Werk zulächelt, Neugier weckend und Aufmerksamkeit beanspruchend. Der vermeintlich bekannte Raum strahlt einen neuen, aufregenden Glanz aus. Der erste Besuch einer Ausstellung im Museum.

Beim Besuch der Klassischen Moderne zwischen zwei Werken Alexej von Jawlenskys – rechts „Heilandsgesicht: Erwartung“ von 1917, links „Heilandsgesicht: Ruhendes Licht“ von 1921 (Foto: Augustine Libert)

Ein solches Erlebnis ist nur ein Tropfen im Ozean der Momente, die aufgrund der Corona-Pandemie monatelang auf sich warten lassen mussten. Dem gänzlichen Stillstand des kulturellen Lebens entsprang, abgesehen vom allgemeinen Wunsch nach Normalität, vor allem eine Sehnsucht nach Erlebnissen. Denn die Erinnerung an eben diese schien in Hoffnung auf eine baldige Wiederkehr präsenter denn je. Und tatsächlich hat das Warten ein Ende: Die aktuellen Regelungen erlauben es kulturellen Einrichtungen, ihre Tore erneut zu öffnen und Leben herein zu lassen.

Hat Frank Gerritz’ Arbeit „Interstellar Lowway“ (2001/2002, Paintstick auf Aluminium, Christoph Seibt Collection Contemporary Art) fest im Blick: Augustine Libert (Foto: Francisco Mendez)

Mein erster Besuch im Museum Wiesbaden seit dem Ausbruch der Pandemie war jedoch nicht nur aufgrund der mir bis dato unbekannten Ausstellung Temporary Ground von Frank Gerritz eine „neue“ Erfahrung. Während ich dem Portrait „Nikita“ von Alexej von Jawlensky gegenüberstand und das markante Antlitz meinen Blick unausweichlich erwiderte, wurde mir die lang ersehnte Interaktion mit Kunst schlagartig bewusst.

Zusammentreffen mit Alexej von Jawlenskys Ölgemälde „Nikita“ (1910), das sich seit 1951 im Haus befindet: Francisco Mendez (Foto: Augustine Libert)

Mir war, als seien monatelanges Warten und Zurückerinnern in der Retrospektive lediglich Wegbereiter für eine bewusstere Wahrnehmung. Auch bei weiteren Werken Jawlenskys hatte ich das Gefühl, die Sinnlichkeit der reinen und intensiven Farben repräsentiere eine Momentaufnahme davon, wie ich an diesem Nachmittag die Werke per se, aber auch die Räumlichkeiten des Museums erlebte. Jeder Schritt durch das Museum war ein Schritt zurück in das kulturelle Leben.

Francisco Mendez


Zur Person
Francisco Mendez studiert Publizistik an der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz. Neben dem Studium interessiert er sich besonders für die Klassische Moderne und die zeitgenössische Kunst. Am 12. Juni 2021 machte er sich gemeinsam mit seiner Freundin Augustine Libert auf den Weg nach Wiesbaden ins Museum an der Friedrich-Ebert-Allee. Er war gerne bereit, seine Eindrücke vom ersten Museumsbesuch nach langer Pandemie-bedingter Abwesenheit mit uns zu teilen.

 

In der ganzen Welt unterwegs auf Kultur-Tour: Francisco Mendez und Augustine Libert (Foto: privat)

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