Kunstvoll und Naturnah

Über junge Malerei

Max Frintrop, Installationsansicht, Museum Wiesbaden. Im Durchblick: Alicia Viebrock (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Mit der Ausstellung „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“ zieht eine Woge der Begeisterung für die zeitgenössische Malerei durch das ganze Land. Das Ausstellungsprojekt, eine Kooperation des Kunstmuseums Bonn, des Museums Wiesbaden und der Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den aktuellen Stand des traditionsreichen Mediums der Malerei zu bestimmen. Gleichzeitig an allen drei Standorten sind noch bis zum 19. Januar 2020 insgesamt rund 500 Werke von 53 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen. Ziel der drei Häuser sowie der Deichtorhallen in Hamburg, die sich entschlossen haben, die Ausstellung im Februar 2020 zu übernehmen, ist es, mit der Auswahl von 53 Positionen einen gültigen Querschnitt durch die junge Malerei zu geben. An allen drei Standorten sind die Künstler*innen mit jeweils etwa drei bis fünf Arbeiten präsent, bevor es in den Deichtorhallen in Hamburg im Februar 2020 eine wiederum alle 53 Positionen umfassende Auswahl aus dem Gesamtkonvolut zu sehen geben wird.

Das Vorhaben zu diesem groß angelegten Projekt entwickelte sich vor etwa vier Jahren bei einer der Kooperationen des Museums Wiesbaden mit dem Kunstmuseum Bonn. Da sich beide Häuser der Malerei verschrieben haben, Wiesbaden vorrangig mit Alexej von Jawlensky und Bonn mit August Macke, entstand der Plan, die zeitgenössische junge Malerei gemeinsam in den Blick zu nehmen. Viele Künstler*innen und weitere Berater*innen aus dem Kunstbereich, etwa aus Akademien, Universitäten und Galerien, haben mit ihrer Expertise die eigenen Recherchen aus dem Kuratorenteam ergänzt, sodass eine 200 Namen lange Künstlerliste entstand. Etwas mehr als hundert kamen in die engere Auswahl und wurden zwischen Herbst 2017 und Frühjahr 2019 in wechselnden Zweier-Teams in ihren Ateliers besucht. Um den geografischen Rahmen des Untersuchungsgebiets annähernd bewältigen zu können und die Auswahl nicht beliebig werden zu lassen, beschränkte sich die Suche nach junger Malerei auf ganz Deutschland – von Bremen, Berlin, Hamburg, Dresden, Leipzig, Köln, Düsseldorf, Frankfurt, Karlsruhe, Stuttgart und München bis zu den Orten weitab der Akademiestandorte. Die Ateliers waren dabei so unterschiedlich wie ihre Besitzer: Die Bandbreite reichte von großen Showrooms bis hin zu winzigen Abstellkammern.

Simon Modersohn, Installationsansicht, Museum Wiesbaden. Im Durchblick: Monika Michalko (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Über die Auswahlkriterien war man sich schnell einig: So sollten die Künstlerinnen und Künstler noch am Anfang ihrer Karriere stehen und etwa die Altersspanne zwischen dreißig und vierzig Jahren abdecken. Damit lenken wir den Fokus auf eine Generation, die im Wesentlichen nicht mehr mit der Erfahrung des geteilten Deutschland aufgewachsen ist. So hat etwa Anna Nero sowohl an der Kunsthochschule Mainz als auch an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert und pendelt bis heute zwischen ihren Ateliers in Frankfurt und Leipzig. Die unterschiedlichen historischen Entwicklungsstränge der Malerei in beiden Teilen Deutschlands sind ihr zwar bewusst, spielen für sie jedoch heute keine Rolle mehr, vielmehr weiß sie die beiden Standorte in Hessen und Sachsen für ihre Kunst zu nutzen.

Der Titel der Ausstellung „Jetzt!“ ist programmatisch zu verstehen. Die Auswahl behauptet sich als Blick auf die gegenwärtige Situation der Malerei – auf ihre aktuellen Fragen und Kontexte, die jedoch eine zweite Prämisse miteinbezog: Allen künstlerischen Arbeiten ist gemein, dass sie sich mit allen möglichen Erscheinungsformen des gemalten Bildes auf einer begrenzten Fläche des Bildgevierts befassen. Das bedeutet in der Konsequenz einen bewussten Verzicht auf alle expansiven Spielarten der Malerei, wie beispielsweise solche die über den Bildrand hinausgreifen und zu einer raumgreifenden Installation werden. Die Auswahl hat dadurch jedoch nicht an Vielfältigkeit eingebüßt: Es gibt künstlerische Positionen, die mit ihren Bildern Erzählungen andeuten (David Lehmann, Lydia Balke, Simon Modersohn) oder das Medium mittels der Malmaterialien im Spiegel des digitalen Zeitalters reflektieren (Benedikt Leonhardt, Jonas Weichsel). Andere wiederum reagieren auf starke und etablierte Positionen und formulieren darauf eine frische Gegenfrage oder bieten Antworten an (Max Frintrop, Jana Schröder, Ina Gerken, Sabrina Haunsperg, Franziska Reinbothe).

Ina Gerken, Installationsansicht, Museum Wiesbaden. Im Durchblick: Jagoda Bednarsky (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Kein künstlerisches Medium hat so viele positive wie negative Zuschreibungen erlebt wie die Malerei. Dieser Befund resultiert aus der gewaltigen Tradition der Malerei, innerhalb derer so viel schon gedacht und getan wurde, dass es in der Tat nicht einfach scheint, noch etwas Neues zu entdecken. Die Reise hat gezeigt, wie vielfältig und pulsierend die aktuelle Kunstszene ist und welch hohe Wertschätzung die Malerei unter den jungen Kunstschaffenden genießt. Aller Grabreden zum Trotz hat es die Malerei schließlich immer gegeben und wir freuen uns, brandaktuelle Arbeiten der vergangenen zwei Jahre aus den Ateliers in ganz Deutschland in den drei Museen zu präsentieren.

Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Katalog, der die eindrucksvollen Ergebnisse zeigt, was Malerei für diese junge Generation bedeutet und was das Medium in seiner klassischen Form als Tafel- und Leinwandbild zu leisten imstande ist. Neben Essays zu gegenwärtigen Themen der Malerei von Stephan Berg, Alexander Klar, Anja Richter, Lea Schäfer und Christoph Schreier haben Berater*innen ein Statement zum Stand der Malerei abgegeben. Das Herzstück des Katalogs ist der Bildteil, der zu jedem Künstler/jeder Künstlerin einen einführenden Text, Vita und je eine Abbildung aus Bonn, Chemnitz und Wiesbaden beinhaltet.

Der Katalog zur Ausstellung präsentiert auf über 250 Seiten jeweils eines der in den drei Museen ausgestellten Bildern der Künstlerinnen und Künstler. Herausgegeben von Stephan Berg, Alexander Klar und Frédéric Bußmann; mit Beiträgen von S. Berg, A. Klar, A. Richter, L. Schäfer, C. Schreier u. a., ca. 300 Seiten, ca. 200 Farbabbildungen, 24 × 30 cm, Hirmer Verlag, ISBN: 978-3-7774-3419-3, Museumsausgabe: 35,00 € (Foto: Q Kreativgesellschaft, Wiesbaden)

Lea Schäfer studierte Bildende Kunst, Geschichte und Kunstgeschichte in Mainz und schloss mit einem Meisterschülerstudium in der Malereiklasse an der Kunsthochschule Mainz ab. Seit 2018 ist sie wissenschaftliche Volontärin in den Kunstsammlungen am Museum Wiesbaden.

P.S.
Bei unserem Jour Fixe am 26. November um 18 Uhr haben Sie die Möglichkeit, mit Kustos Jörg Daur, stellvertretender Museumsdirektor, die Ausstellung näher kennenzulernen.

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