Kunstvoll und Naturnah

Hanna Bekker als Malerin

Als das Museum Wiesbaden im Herbst 2018 der „Malerin Hanna Bekker“ (1893-1983) eine Raumausstellung widmete, konnte ein drittes Werk von ihr als Neuzugang der Sammlung präsentiert werden: „Viktoria-Luise-Platz“ (1929).

Sammlungspräsentation 2017 Museum Wiesbaden: „Viktoria-Luise-Platz“ zwischen Max Beckmann und Otto Mueller (Foto: Bernd Fickert)

Auf diesen sternförmigen, von dem Landschaftsgärtner Fritz Encke um 1900 im spätbarocken Stil entworfenen Berliner Platz laufen sechs Straßen zu, eine davon ist die Regensburger Straße. In der Parkmitte liegt ein Wasserbecken mit Fontäne.

Das Gemälde entstand 1929, während die Malerin zum ersten Mal in der Regensburger Straße wohnte. Von hier aus konnte sie nach Nordosten auf den Viktoria-Luise-Platz blicken. Das Bild wirkt düster durch seine reduzierte, vorherrschend dunkle Farbgebung. Am Bildrand lenken der scharfe Schatten links und die dunkle Begrenzung durch das Nachbargebäude rechts den Blick auf den nächtlichen Park. Das Erwachen der Morgendämmerung links an dem dunkelroten Himmel wird kontrastiert durch das fahle Mondlicht auf den gegenüberliegenden Gebäuden. Lichtkegel greifen die sternförmige Anlage des Parks auf und weisen auf sein Zentrum hin: das weiß gefasste, blaue Wasserbecken, ohne Fontäne. Den einzigen Hinweis auf Natur geben die vier dunkelgrünen, in ihrer Form unterschiedlichen Gebüsche, als widersetzten sie sich der geordneten Gestaltung des Parks.

Hanna Bekker vom Rath, „Viktoria-Luise-Platz“ 1929 (Foto: Ursula Seitz-Gray

Was bewegte Hanna Bekker in dieser Zeit? Sie hatte sich vorgestellt, ihr Leben als Malerin, Ehefrau und Mutter vereinbaren zu können. Der Musikschriftsteller Paul Bekker war erfüllt durch seine Aufgaben als Generalintendant des Staatstheaters Wiesbaden. Die Konflikte waren nicht mehr zu überbrücken. Seit 1928 hielt sich Hanna Bekker, inzwischen von ihrem Mann getrennt wieder in Hofheim lebend, häufig in Berlin auf. Mehrmals mietete sie die Atelierwohnung in der Regensburger Straße 34. In diesem Teil des Bezirks Schöneberg wohnten Karl Schmidt-Rottluff und viele weitere Künstler.

Kabinettausstellung 2018 „Hanna Bekker als Malerin“, Mitte: Selbstportrait mit Hut, um 1948; ganz rechts: Portrait Albert Steinrück (Foto Bernd Fickert)

Und hierher kehrte Hanna Bekker noch drei Mal in den Wintermonaten zwischen 1940/41 und 1942/43 zurück. Jedoch nicht mehr zum Malen – sie ermöglichte einigen derzeit als „entartet“ verfemten Künstlern und ihren Kunstfreunden Begegnung und Austausch vor deren Bildern. „Es gibt nichts Besseres, als sich für unvergängliche Werte einzusetzen“, schrieb sie 1941 an Alexej Jawlensky, dessen Werke sie ebenfalls zeigte.

Ein aufregendes Erlebnis vom Viktoria-Luise-Platz hielt Hanna Bekker Anfang 1942 – noch völlig außer Atem – während ihrer Rückfahrt nach Frankfurt fest: „Schmidt-Rottluff […] wollte mich zur Bahn bringen – [ich] hatte mit List + Tücke einen Schlafwagen erwischt. Plötzlich in der UBahn merke ich, dass ich meine Tasche mit allem Nötigen nicht mehr habe! Tableau! In 35 Min. sollte mein Zug gehen […] zurück ins Restaurant – keine Tasche – den Victoria-Luise-Platz mit Taschenlampen abgesucht – vergebens – Gepäck zurück in die Wohnung + zur Polizei – Lebensmittelkarte, Kleiderk[arte], Pass, Scheckbuch, alles in der Tasche! Zurück in die Wohnung, der Zug ist weg – Karl geht weg + ich bin ratlos – es schellt: Karl steht wieder an der Tür, 2 Leute mit ihm + bringen die Tasche! So ein Glück, 50 M waren drin, die gab ich zum Lohn […] Die Tasche übrigens war mir aus dem Arm gerutscht + lautlos in den Schnee gefallen – da wurde sie gefunden“[1]. Ausweis und Lebensmittelkarten zu verlieren, hätte in dieser Zeit dramatische Folgen haben können.

Hanna Bekker vom Rath, „Portrait Albert Steinrück“, 1918 (Foto: Bernd Fickert)

Im Oeuvre Hanna Bekkers nehmen Stillleben und Portraits den größten Raum ein, mit dem „Portrait [des Schauspielers] Albert Steinrück“ (1918) und dem „Lauchstilleben“ (1947) sind beide Genres im Museum Wiesbaden vertreten. Schon vor der anfangs erwähnten Raumausstellung war der „Viktoria-Luise-Platz“ im Museum Wiesbaden „gleichberechtigt“ neben Künstlern aus der Sammlung Hanna Bekker vom Rath zu sehen. Stadtbilder hat sie nur sehr wenige gemalt, dieses hat übrigens eine noch zu entdeckende Rückseite: „Drei Sonnenblumen in blauer Vase“.

Marian Stein-Steinfeld


Zur Person
Marian Stein-Steinfeld (*1954 in New Jersey, USA) ist eine Enkeltochter von Hanna Bekker vom Rath. Ihre Kindheit und Jugend verlebte sie gemeinsam mit der Großmutter im „Blauen Haus“ in Hofheim am Taunus. Später wurde sie Teilhaberin des von Hanna Bekker kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs gegründeten Frankfurter Kunstkabinetts. In den 1980er Jahren begann Marian Stein-Steinfeld mit dem Aufbau des Archivs Hanna Bekker vom Rath, dessen Leitung sie nach ihrem Umzug von Hofheim nach Frankfurt übernahm. Der Kontakt zum Museum Wiesbaden entstand 1987, als dessen damaliger Direktor Volker Rattemeyer die Erstpräsentation der Sammlung Hanna Bekker vom Rath vorbereitete und Marian Stein-Steinfeld dafür um einen Katalogbeitrag bat. Dieser Kontakt ist seither nicht mehr abgebrochen. Marian Stein-Steinfeld ist zudem Mitglied bei den Freunden des Museums Wiesbaden, das Interview mit ihr lesen Sie hier. Zwischen 2013 und 2017 erarbeitete Marian Stein-Steinfeld eine umfangreiche wissenschaftliche Biografie über Hanna Bekker vom Rath, die als Band 16 der Reihe „Mäzene, Stifter, Stadtkultur“ im Verlag der Frankfurter Bürgerstiftung erschienen ist. (RP)

 

Hanna Bekker vom Rath, „Drei Sonnenblumen in blauer Vase“, Rückseite von „Viktoria-Luise-Platz“ (Foto: Ursula Seitz-Gray)

[1] Marian Stein-Steinfeld, Hanna Bekker vom Rath – Handelnde für Kunst und Künstler, Frankfurt, 2018, S. 187 f.

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