Spannender „Besuch“ in der Klassischen Moderne

Interview mit Dr. Roman Zieglgänsberger

„Lassen Sie sich überraschen, wenn wir hoffentlich Anfang Juni wieder öffnen dürfen.“ Dies ruft Roman Zieglgänsberger, Kustos der Klassischen Moderne, den Freundinnen und Freunden des Museums zu. Und es ist wirklich spannend, was in der Klassischen Moderne geschieht – wo eine zeitgenössische Künstlerin – vorübergehend – Einzug hält: Chunqing Huang (47) ist vom 13. Juni an bis zum 15. August eine Ausstellung im Kunsthaus gewidmet. Arbeiten der Frankfurter Künstlerin werden zeitgleich im Museum Wiesbaden zu sehen sein. Wir befragten Dr. Roman Zieglgänsberger zu diesem Projekt „Painter’s Portrait“ und dazu, was es mit der sogenannten Intervention in der Klassischen Moderne auf sich hat. 


Roman, wie kam es in diesem Fall zur Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus?

Monique Behr vom Kunsthaus Wiesbaden trat im Sommer 2020 an uns heran mit der Idee Chunqing Huang zu ihrer Ausstellung im Kunsthaus, die am 12. Juni 2021 eröffnet wird, als Satelliten auch bei uns im Museum Wiesbaden zu präsentieren. Dies erschien uns ideal, weil es einfach hervorragend passt und wir ohnehin immer einmal wieder unseren Museumsbestand durch zeitgenössische Interventionen befragen wollen.

Welche Arbeiten von Chunqing Huang werden in der Klassischen Moderne zu sehen sein?

Wir haben gemeinsam mit Chunqing Huang und dem Kurator der Ausstellung im Kunsthaus, Ulf Ziegler, fünf Arbeiten ausgewählt, die Bezug nehmen auf Künstlerinnen und Künstler, denen man auch im aktuellen Rundgang durch unsere Abteilung Klassische Moderne begegnet. Da lag natürlich Huangs „Porträt“ des Malers Alexej von Jawlensky nahe, aber auch das von Gabriele Münter. Letztere hängt sogar direkt im Raum mit den Werken Huangs. Schön ist auch, dass wir die Arbeit Huangs zu Ernst Wilhelm Nay präsentieren dürfen, wo wir doch seit Jan Baechles großherziger Schenkung, die kürzlich vorgestellt wurde, einen kompletten Raum zum Künstler eingerichtet haben.

Chunqing Huang, Alexej von Jawlensky, 2016

Für den nicht so kunsthistorisch gebildeten Interessenten: Was macht den besonderen Reiz/die besondere Bedeutung dieser Bilder der Künstlerin aus?

Das Spannende ist, dass man durch das von Huang gewählte Farbspektrum und die Rhythmik des Pinselstrichs im einzelnen Werk, eine Ahnung von der prinzipiellen Farbenwelt und der ganz eigenen Emotion des von ihr „porträtierten“ Künstlers erhalten kann. Das ist schon bemerkenswert, da sich dies wirklich erleben lässt vor den Originalen.

Was meint der Begriff „inneres Museum europäischer Kunst“, der auf die Arbeitsweise von Chunqing Huang passt?

Das bedeutet: Die Künstlerin versucht selbstverständlich nicht, das gesamte Werk des Malers objektiv in einem Bild zu erfassen, weil man dann ja jedes noch so kleine Werk eines Künstlers miteinbeziehen und ihm Rechnung tragen müsste. Das ist schlicht unmöglich. Vielmehr geht sie von den selbst erlebten Begegnungen mit Werken der jeweiligen Künstlerin oder des jeweiligen Künstlers in den Museen aus. Sie selbst bringt als eine in Asien geborene, in Deutschland ausgebildete Malerin ihren ganz eigenen Zugang zur Europäischen Moderne, die sie hauptsächlich in westlichen Museen erlebt hat, zur Darstellung.

Chunqing Huang, Gabriele Münter, 2016

Bitte noch ein paar Worte zur Reihe „Intervention“. Was hat man hier derzeit, nach Macke, den kaum einer sehen durfte, vor?

Ja, in den Räumen, wo Macke ausgestellt war, richten wir derzeit die Abteilung Klassische Moderne neu ein. Es ist immer eine große Freude, mit den eigenen Bildern zu arbeiten. Wir haben endlich wieder einmal einen Raum dem De Stijl-Künstler Friedrich Vordemberge-Gildewart gewidmet, dessen Bilder wie seltene Juwelen leuchten. Ein anderer Raum ist dem für Wiesbaden so wichtigen Sammler Heinrich Kirchhoff gewidmet – mit der Neuwerbung des Gartenbildes von Walter Jacob, über das ich kürzlich auf der Freunde-Website ausführlich berichtet habe. Und ein weiterer Raum erinnert an Hanna Bekker, die Künstler wie Ludwig Meidner gefördert oder Max Beckmann gesammelt hat. Und genau in diese Neupräsentation passt Chunqing Huang perfekt hinein und wurde von Beginn an mitgedacht.

Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost


Titelbild: Chunqing Huang, Ernst Wilhelm Nay (Detail), 2016

Zur Übersicht