Statt auf die Sonnenbank lieber ins Museum

Max Pechstein im Rhein-Main-Gebiet

„Hier in der Pechstein-Ausstellung scheint Ihnen die Sonne tief in die Seele“, sagt Dr. Andreas Hennig, Direktor des Museums Wiesbaden.

Ausstellungsansicht mit Gast. © 2024 Pechstein – Hamburg ⁄ Berlin. (Foto: Museum Wiesbaden/ Bernd Fickert)

Auf einem Gemälde hängt die Sonne wie ein orangefarbener Luftballon am wolkigen Himmel über Fischerbooten, dort schickt sie orange-gelbe Strahlenbänder über den Strand, und dann gibt es da noch eine fahle, flache Scheibe wie ein Strahlenkreuz über einer Strandlandschaft, eine wirbelnde Form wie eine Windmühle oder einen violett-blau-rosafarbenen Kreisel – die Sonne ist allgegenwärtig in dieser Schau und im Werk des Künstlers Max Pechstein. Ungewöhnlich allerdings, dass der Himmelskörper auf diesen farbenprächtigen Gemälden keineswegs mehr Gewicht hat als in den schwarzweißen Bildern. So ist jene Sonne, die auf einem Holzschnitt schwarze Strahlenfächer über Fischerboote am Strand legt, ein kraftstrotzender Ball, der uns als Besucher direkt ins Bild hineinzieht. Die Sonne beherrscht alles. Nicht ohne Grund hängt die vergrößerte Reproduktion des Holzschnitts im Eingangsoktogon der Ausstellung.

Ansicht im Eingangsbereich der Ausstellung: Max Pechstein – Die Sonne in Schwarzweiß; vergrößerte Reproduktion des Holzschnitts Untergehende Sonne (Ostseestrand), 1948, Kunstsammlungen Zwickau – Max Pechstein Museum, © 2024 Pechstein – Hamburg ⁄ Berlin. (Foto: Martina Caroline Conrad)

Zu verdanken haben wir diese Sonnenmotive und die Konzentration auf den Himmelskörper Kurator Dr. Roman Zieglgänsberger. In keiner anderen Ausstellung wurde die Sonne so ins Zentrum gerückt. Schon vor fünf Jahren bei ersten Überlegungen zu einer Max Pechstein-Ausstellung erkannte der Kunsthistoriker, dass die Sonne das zentrale Thema im Werk des Expressionisten Pechstein ist. Sie verknüpft die Weltvorstellung des Künstlers als Lebensmotiv und kosmisches Gebilde, das unseren Alltag bestimmt. Sie bildet mit der Natur und dem Menschen eine Einheit. Natur und Mensch waren schon immer die großen Themen der Expressionisten.

Max Pechstein, Aufgehende Sonne, 1933, Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarbrücken, Saarlandmuseum – Moderne Galerie © 2024 Pechstein – Hamburg ⁄ Berlin

Doch kein Licht ohne Schatten. So hat Max Pechstein expressive, leuchtende, starkfarbige Bilder mit rosaroter Sonne über idyllischen Landschaften gemalt, über nackten weiblichen schlanken Körpern am See oder als Zeugnis der Naturgewalt über dem Meer. Aber dann wird das Motiv der Sonne in den schwarzweißen Grafiken plötzlich zu einem Inferno – einer Bombenexplosion im Ersten Weltkrieg. Statt Wärme verbreitet sie den Tod.

Roman Zieglgänsberger hat der Ausstellung nicht ohne Grund den Titel „Die Sonne in Schwarzweiß“ gegeben. Max Pechstein erlebte sowohl die helle wie auch die dunkle Seite: 1881 in Zwickau geboren, war der bekannte Künstler zum einen Familienvater und engagierter Brücke-Maler auf der Sonnenseite des Lebens. Aber er war auch Chronist einer kriegerischen Zeit. Zwar zog Pechstein noch 1916 begeistert im Ersten Weltkrieg an die Westfront, aber schon ein Jahr später entstand eine Grafikmappe, in der eine „Marschierende Kompanie“ auf eine Doppelsonne zuläuft – links oben eine flache reale Sonne über einem zerbombten Haus, rechts oben viel größer und wuchtiger der Strahlenkranz einer Granate – die Hölle des Lebens.

1.250 Gemälde und 1.000 Grafiken hat Max Pechstein hinterlassen. In seinen Lebenserinnerungen schrieb Pechstein „Nach längerem Malen ergreift mich Sehnsucht nach der Farbigkeit des Schwarzen in der Grafik … die kräftigen Schnitte im Holz, den energischen Riss der Nadel auf dem Metall, das schmeichelnde Hauchen der Kreide über den Stein.“*

Max Pechstein, Sonnenuntergang an der See, 1921, Sammlung Dr. Roman Rubin, © 2024 Pechstein – Hamburg ⁄ Berlin

Gerade durch die wilde Farbigkeit, die harten Kanten und scharfen Konturen des Holzschnitts wollte Pechstein wie seine Expressionisten-Freunde einen Kontrapunkt zur akademischen Lehre setzen. „Beglückt entdeckten wir einen restlosen Gleichklang im Drang nach Befreiung, nach einer vorwärtsstürmenden, nicht durch Konventionen gehemmter Kunst“.*

Max Pechstein, Russisches Ballett, 1909, Privatbesitz, © 2024 Pechstein – Hamburg ⁄ Berlin

Im Gegensatz zu vielen anderen Expressionisten war Max Pechstein kein Autodidakt. Er hatte eine fundierte Ausbildung als Dekorationsmaler, Absolvent der Kunstgewerbeschule Dresden und Kunstakademie Dresden. „Die Darstellungen wirken“, nach Roman Zieglgänsberger, „so ehrlich, mitfühlend, als gehe der Künstler acht Stunden am Tag seiner Malerei nach, genauso wie die Fischer hinaus aufs Meer fahren“. Pechstein fühlte sich gerade den Fischern, aber auch den Arbeitern stark verbunden: „Kunst ist eine Steigerung des Handwerks. Wer im heißen Bemühen seine Arbeit, und sei sie auch noch so gering, gut ausgeführt hat, kann sie stolz mit seinem Namen vertreten“.*

Max Pechstein, Selbstbildnis, liegend, 1909. Privatbesitz © 2024 Pechstein — Hamburg ⁄ Berlin (Foto: Kunsthaus Lempertz/Fius Photographie, Köln)

An diese Worte sollten wir denken, wenn wir das wunderbare Selbstbildnis von 1909 in der Ausstellung sehen. Es wird hier im Museum zum ersten Mal seit 30 Jahren gezeigt und lässt uns auf einen jungen Mann blicken, der mit der Pfeife im Mund leger in blauer Hose und rotem Hemd auf einem grünen Boden vor einer gelben Wand liegt. Mit dem abgestützten rechten Unterarm hält er eine Palette, die linke Hand mit dem Pinsel bewegt sich in Richtung Leinwand. Pechstein blickt uns an, denn wir sind der Spiegel, der ihn reflektiert und mit dessen Hilfe er gerade sein Selbstbildnis malt. Rechts das Handwerkszeug, dazwischen Kopf und Körper, wo seine Vorbilder van Gogh und Edvard Munch gespeichert sind, und links der Pinsel, der als Werkzeug das Wissen, die Technik und das Können des Künstlers im Gemälde vereint.

Max Pechstein, Sonnendurchbruch, 1921, Privatsammlung, Foto: Villa Grisebach, Berlin; © 2024 Pechstein – Hamburg/Berlin

Es ließe sich noch viel erzählen über Max Pechstein und die Expressionisten, Kontakte zu Künstlervereinigungen wie „Die Brücke“, „Der Blaue Reiter“ und die „Berliner Sezession“, über Pechsteins Sehnsucht nach der paradiesischen Südsee (mit Licht und Schatten) oder die Interpretation von Religion. Nicht zuletzt ist Pechstein ein Neuerer auf dem Weg zur Abstraktion, zu entdecken in der Grafik „Kahnreihe am Abend“.

Aber all das sollten Sie selbst erleben in der großartigen Max Pechstein-Ausstellung, der ersten Retrospektive im Rhein-Main-Gebiet. Sie ist eingebettet in den Schwerpunkt des Museums Wiesbaden mit der hervorragenden Expressionisten-Sammlung, in der bisher leider nur einige Grafiken von Max Pechstein zuhause sind.

Martina Caroline Conrad


* Zitate aus Max Pechstein. Erinnerungen. Hrsg. Leopold Reidemeister, Wiesbaden 1960

 

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