Ausgegraben und wiederentdeckt!
Marg Moll und ihr Spätwerk „Küssende“
Die 1963/64 entstandene Plastik „Küssende“ der Bildhauerin Marg Moll (1884–1977) ist ein besonderes Werk, das sich ideal in die Sammlung des Museums Wiesbaden einfügen würde. Ihre Erwerbung würde aufgrund ihrer hohen Qualität einen immensen Gewinn für das Museum Wiesbaden darstellen. Nicht nur, dass die „Küssende“ außerordentlich selten ist, es sind lediglich zwei Abgüsse in Bronze bekannt, sondern mit ihr ließe sich auch die Lebensgeschichte der Künstlerin mit der hessischen Landeshauptstadt verknüpfen.
Doch bevor dieser Bezug hier verraten wird, soll in aller Kürze die Künstlerin vorgestellt werden. Marg Moll wurde in den 1920er-Jahren regelmäßig in Deutschland, aber auch international ausgestellt und war mit Alexander Archipenko, Constantin Brânçusi auf Höhe der Größen ihrer Zeit „Avantgarde“. 1915/16 wurde sie beispielsweise in der Neuen Secession Berlin gezeigt und in der Folge gab es viele renommierte Kunsthändler, die sie in ihr Programm aufnahmen – von Wolfgang Gurlitt oder Alfred Flechtheim in Berlin über die Galerie Arnold in Breslau bis hin zu Hans Goltz in München. Einer der Höhepunkte war sicherlich im Jahr 1932 die Doppelpräsentation „Tableaux par Oscar Moll. Sculptures par Marg Moll“ in der Pariser Galerie Georges Petit gemeinsam mit ihrem Mann. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde Marg Moll als „entartet“ diffamiert. Ihre rundumansichtige „Tänzerin“ war nicht nur Teil der Ausstellung „Entartete Kunst“, sondern wurde auch als Requisite im nationalsozialistischen Propagandafilm „Venus vor Gericht“ (1941) missbraucht. Nach dem Krieg war es diese Skulptur, die ihr, nachdem sie nach dem Zweiten Weltkrieg das Los vieler der verunglimpften Künstler und Künstlerinnen teilte und zu Unrecht in Vergessenheit geraten war, wieder zurück ins Rampenlicht brachte. Allerdings erst im Jahr 2010.
Als in Berlin ein neuer U-Bahn-Schacht am Roten Rathaus gegraben wurde, kam es zu einem spektakulären Skulpturenfund: 16 als „entartet“ deklarierte Plastiken waren von Nationalsozialisten in einem Keller eingelagert und schließlich durch Bombenangriffe auf die Hauptstadt verschüttet worden. Neben Otto Freundlichs „Kopf“ war die kubistische „Tänzerin“ Marg Molls das wohl aufsehenerregendste Stück dieser überraschenden „archäologischen“ Ausgrabung. Ab diesem Moment ist das nach ihrem Tod kaum mehr in Erscheinung getretene Werk plötzlich wieder auf der Bildfläche zurück – beispielsweise ist die Bildhauerin heute mit einer Bronze selbstverständlicher Teil der aktuellen Neupräsentation in der Berliner Neuen Nationalgalerie und wird seither wieder von der kunsthistorischen Forschung „entdeckt“, so auch in unserer kommenden Ausstellung „Gemischtes Doppel. Die Molls und die Purrmanns“ (Eröffnung am 12. Oktober 2023). Hier wird ihre Beziehung zu den berühmten Künstlern Lovis Corinth in Berlin und Henri Matisse in Paris neu befragt, die beide von ihr fasziniert gewesen sind und Porträts von ihr angefertigt haben.
Das Künstlerpaar Moll ist schließlich der Grund, warum wir diese Ausstellung in Wiesbaden durchführen. Als Margarete Haeffner lebte sie um 1900 in Wiesbaden, weil ihr Onkel das beste Hotel am Platz, nämlich das „Hotel Rose“ – die heutige Hessische Staatskanzlei – leitete, und erhielt damals in der Stadt ihre erste künstlerische Ausbildung. 1905 lernte sie am hiesigen Bahnhof Oskar Moll kennen und 1906 heirateten beide in der Wiesbadener neoromanischen Ringkirche. Von Marg Moll als einer Wiesbadener Künstlerin zu sprechen, ist also durchaus legitim, auch wenn sie ursprünglich aus Mülheim im Elsass stammt. Diese biografische Verbindung der Künstlerin zur heutigen Landeshauptstadt, die auch uns im Museum Wiesbaden erst nach dem Berliner Paukenschlag im Jahr 2010 allmählich wieder bewusst geworden ist, sollte sich zukünftig auch in unsere Sammlung widerspiegeln. Und dies tut es auch seit zwei Jahren, als uns das treue Mitglied unseres Freundeskreises Dr. Roman Rubin großherzig nicht nur zunächst ein Oskar Moll-Gemälde, sondern kurz darauf auch noch zwei Marg Moll-Plastiken („Stehende“ und „Eule“) überließ – beides Arbeiten der 1920er-Jahre.
Würde die Erwerbung mit Hilfe Ihrer Spenden gelingen, befände sich mit der „Küssenden“ nicht nur endlich ein Spätwerk der Künstlerin in unserem Besitz, sondern es ließe sich auch ein Lebenskreis schließen: Die kompakte Skulptur wurde von Marg Moll 1963 in Holz gefertigt und 1964 als Bronzeplastik in nur zwei Güssen größengleich umgesetzt. Anlässlich des 80. Geburtstags der Künstlerin wurde ihr in diesem Jahr über den Sommer im Museum Wiesbaden eine Kabinettausstellung gewidmet (gefeiert wurde übrigens, das ist verbrieft, im besagten Hotel Rose). Teil dieser Präsentation in unseren wunderbaren Sälen der Kunstsammlung, davon ist fest auszugehen, war ihr jüngste Arbeit: die „Küssende“. Ein substanzielles und zugleich irritierendes Werk, das mit dem küssenden Gesicht (oder sind es nicht sogar zwei, sich gegenseitig küssende Gesichter?) so kraftvoll und lebensbejahend überraschend jung wirkt, dass es uns noch heute in den Bann zu ziehen vermag.
Roman Zieglgänsberger
PS: Die IBAN-Bankverbindung für das Förderkreis-Spendenkonto zum Erwerb des Kunstwerks der Marg Moll lautet DE 53 5105 0015 0101 2550 93.