Blick in die Ausstellung

Das südliche Afrika – faszinierende Natur und kulturelle Vielfalt

„Die Naturhistorischen Sammlungen nehmen Sie mit auf eine Weltreise“ – Dr. Andreas Henning, Direktor des Museum Wiesbaden


Seit mehr als zehn Jahren verfolgt das Museum Wiesbaden bei seinen naturhistorischen Ausstellungen ein zentrales Konzept: Es nimmt die Besucher mit auf eine Weltreise. Sie können in fremde Lebensräume eintauchen, die Natur in ihrer ganzen Fülle kennenlernen und erfahren, wie Menschen seit Jahrtausenden auf unterschiedlichste Weise mit ihrer Umwelt interagieren. Nord- und Südamerika, Papua-Neuguinea und auch das prähistorische und historische Europa wurden auf diese Weise schon präsentiert. Dieses Mal geht die Reise ins südliche Afrika.

Getreu dem Konzept verfolgt die diesjährige Sonderausstellung „Der Hase ist des Jägers Tod – Kultur und Natur des südlichen Afrikas“ den Gedanken einer Begegnungsreise mit einer ganz besonderen Naturlandschaft. Im Untergeschoss sehen sich Besucherinnen und Besucher Auge in Auge mit der geballten Fülle der Fauna des südlichen Afrikas: Über 100 Wirbeltierarten verteilen sich auf drei Dioramen. Sie spannen den Bogen von den trockenen Dornstrauchsavannen bis zu den sumpfigen Gebieten des Okavango-Deltas. Manch einer fühlt sich sicherlich an eigene Erlebnisse erinnert, denn Deutsche stellen eine der größten Gruppen unter den Touristen im südafrikanischen Namibia. Neben Honigdachsen, Gnus, Krokodilen und Nilpferden gibt sich auch ein Wiesbadener Sommergast wieder die Ehre: Das eigens für die Ausstellung angefertigte Modell einer ausgewachsenen Giraffe ist wieder zu sehen! Es war 2023 bereits auf vielfachen Wunsch der Besucher nach dem Sommerfest auf verlängerten Ferien im Foyer des Museums zu Besuch. Nun konkurriert es jedoch in dem intern als „Giraffensaal“ bezeichneten Ausstellungssaal mit einem anderen Zuwachs der Sammlung: In mühsamer, monatelanger Arbeit konnten die Präparatoren Susann Steinmetzger und Felix Richter, unterstützt durch die Darmstädter Kollegin Mascha Siemund, das Modell eines Elefantenbullen herstellen, der nun prominent den hinteren Teil des Saals überragt.

Flusspferde (Hippopotamus amphibius) in der Ausstellung (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Und schon hier lässt sich erkennen, dass die diesjährige Ausstellung durch ihre Vielschichtigkeit zum mehrmaligen Besuch anregen möchte. Denn die Tiere sind umgeben von hochauflösenden Reproduktionen namibischer Felsbilder, die durch Archäologen der Goethe-Universität Frankfurt unter Leitung von Prof. Dr. Peter Breunig in mehrjährigen Kampagnen aufgenommen wurden. Manche der Felsbildplatten waren mehr als fünf Meter groß. Sie wurden mit modernster Technologie erfasst und finden sich als 1:1-Druck nun im Ausstellungsaal. Auf diesen Jahrtausende alten Darstellungen erkennen die Gäste mitunter genau die Tiere, die sich auch in den Dioramen vor ihnen mal deutlich hervorheben und mal erst durch genaue Suche gefunden werden wollen. Es versteht sich von selbst, dass das Team der Bildung und Vermittlung hier großartige Ansätze findet und durch zahlreiche Stationen, eine Rätselrallye und unterschiedliche Führungskonzepte einbezogen wurde.

Im Hochparterre erwartet die Besucherinnen und Besucher dann ein Übergang zur zweiten Ebene der Ausstellung. Im Eckraum werden die Pros und Contras des modernen Jagd- und Fototourismus vorgestellt. Denn eine traditionelle Jagd, wie sie im südlichen Afrika Jahrtausende lang praktiziert wurde, war spätestens mit der Etablierung der deutschen Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika eine kaum noch praktizierbare Lebensweise. Heute finden sich Jagdfarmen neben Naturschutzgebieten, und die aktuellen Debatten um Einfuhrverbote von Trophäen in die EU, den Erhalt von ökologischen Nischen oder die Bedrohung der Landwirtschaft Namibias und Botswanas durch massiv angestiegene Populationen von Elefanten laden die Ausstellungsbesucher dazu ein, in die teils brisante politische Gegenwart einzutauchen.

Blick in die Ausstellung auf Elefanten und Springbock (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Im letzten Ausstellungssaal geht es historisch noch einmal einen Schritt zurück – dafür steht der Mensch im Mittelpunkt. In den Naturhistorischen Sammlungen des Museum Wiesbaden findet sich auch eine kulturanthropologische Kollektion, die bereits in früheren Ausstellungen („Jäger und Sammler“, „Mit fremden Federn“) vorgestellt wurde. Mit der Etablierung einer Koordinationsstelle zur Aufarbeitung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten am Landesmuseum war klar, dass auch die Sammlungsteile aus den deutschen Kolonien in Afrika Bestandteil der Forschung sein sollten. Daher zeigt die Ausstellung einen Einblick in die Sammlung und präsentiert Objekte daraus, die Beispiele für die materielle Kultur einiger Gemeinschaften Namibias um 1900 sind. Objekte der Ovahimba, Khoi-San und Ovambo, sowie durch Leihgaben aus Witzenhausen vervollständigte Ensembles der Ovaherero verdeutlichen die Lebensweisen von Gemeinschaften, die zur deutschen Kolonialzeit noch als Jäger und Sammler, als Viehzüchter oder Ackerbauern lebten.

Souvenirs aus dem heutigen Namibia, darunter Stoffpuppe mit Kleidern der Ovaherero (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Mit Fotos aus dem Deutschen Kolonialarchiv, dem Stadtarchiv Wiesbaden und Objekten aus der Sammlung des gebürtigen Wiesbadener Missionars Carl Berger geht die Ausstellung dann in die Thematisierung des deutschen Kolonialismus über und zeigt ausschnitthaft seine Auswirkungen auf die Gemeinschaften vor Ort, deren Leben und Wirtschaftsweisen, bis hin zum brutalen, rassistischen motivierten Genozid an den Herero und Nama 1904 und den darauf folgenden Verbrechen durch die deutsche Schutztruppe, die Kolonialverwaltung und europäische Siedler. Zudem erweitert ein Bereich zur Geologie Namibias das Spektrum an Informationen und zeigt auch, wie reich das Land schon seit jeher an Bodenschätzen war und wie seit der Kolonialzeit die Ausbeutung dieser Bodenschätze vorangetrieben wurde.

Vitrine mit modernen Kleidern einer namibischen Modedesignerin mit traditionellen Farbmustern
(Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Der letzte Teil der Ausstellung führt die Gäste wieder in die Gegenwart: Jutta MacConnell, Mitglied der Freunde des Museums, promovierte Ethnologin und auch Mitglied der namibischen Damara, hat in ihren jahrelangen Forschungen immer wieder die Frage nach dem Heute und Morgen thematisiert. In einer zweimonatigen Reise interviewte sie Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Herkunftsgesellschaften und Interessensgruppen und stellt als Mitkuratorin der Ausstellung eine Auswahl dieser Interviews dem Publikum vor. So endet die Ausstellung mit einem Blick in die Zukunft, der von Fragen wie „Wie können wir mit unserer Umwelt leben?“, „Wie gehen wir mit unserer Vergangenheit um?“ und „Wie können wir gemeinsam, gleichberechtigt und auf Augenhöhe zusammenleben?“ getragen wird. Zum Abschluss steht die Frage: „Wie kann Versöhnung aussehen?“

Hannes Lerp und Andy Reymann


Zu den Personen
Dr. Hannes Lerp (Kustos für Zoologie) und Dr. Andy Reymann (Kurator der kulturanthropologischen Sammlung) haben die Ausstellung „Der Hase ist des Jägers Tod – Natur und Kultur des südlichen Afrikas“ kuratiert. Unterstützt wurden sie dabei vom Co-Kuratorenteam Dr. Jutta MacConnell, Fritz Geller-Grimm und Dr. Eric Walliser.

PS: Die Ausstellung bietet auch ein vielfältiges Programm für Kinder. Zahlreiche Möglichkeiten zum aktiven Erkunden gehören dazu, Tierstimmen können erforscht und Fragen an der Rätselwand gelöst werden. Beobachtungsposten mit Ferngläsern richten sich besonders an das junge Publikum, daneben gibt es einen Aktions- und Maltisch. Kindertexte führen durch die gesamte Ausstellung, die bis zum 2. Februar 2025 im Museum Wiesbaden zu erleben ist.

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