Der Klang des Jugendstils
Mit herausragendem Niveau
Es war spannend und für die ZuhörerInnen ein wunderbarer Hörgenuss: Im Gedenken an den großen Jugendstilsammler Ferdinand Wolfgang Neess, gleichzeitig auch ein passionierter Flötist, hat seine Witwe Danielle Neess diesen großartigen musikalischen Wettbewerb ausgelobt. Organisatorin Professorin Cordula Hacke – siehe auch Interview auf dieser Website – kann mit der Premiere zufrieden sein und erntete viel positive Resonanz. Alle zwei Jahre soll dieses besondere Highlight im Museum Wiesbaden stattfinden, dort wo dank der Neess-Schenkung das Jugendstil-Gesamtkunstwerk in der Dauerausstellung zu sehen ist.
Hier die Gewinner und Gewinnerinnen dieser außergewöhnlichen Premiere:
1. Preis: Pawel Niziolek (Polen) und Uliana Zhivitskaya (Russland)
2. Preis: Yu-Fei Lin (Taiwan) und Maël Metzger (Frankreich)
3. Preis: Theodore Squire (Deutsch/Britisch) und Xavier Santos (Portugal)
Lassen Sie uns zurückblicken …
Zunächst mit der Organisatorin Cordula Hacke und mit derjenigen, die den Wettbewerb ausgelobt hat: Danielle Neess. „Schon die Anmeldeflut war überwältigend. Und es war herausragend, wie die jungen Leute sich mit dem Thema Jugendstil und der Musik dieser Epoche befasst haben“, freut sich Professorin Hacke. Dass sie in der Finalrunde auch im Vortrag ihre Gedanken zur Stücke-Auswahl formulierten, wie sehr sie mit Bedacht ihr Repertoire zusammengestellt hatten, das beeindruckte die gesamte Jury: „Dies war genau das, worauf wir hinauswollten“, sagt die Pianistin und Flötistin mit Lehrstuhl an der University of Agder in Norwegen. Sie weiß, dass sich viele der BewerberInnen trotz anspruchsvoller Runden und der nötigen Proben Zeit für einen Besuch der Jugendstil-Ausstellung nahmen. Und auffällig sei auch das gute Miteinander gewesen. „Es gab keine Haifischbecken-Stimmung, das ist nicht immer so“, formuliert es Cordula Hacke, die auch schon anderes bei Wettbewerben erlebt hat.
Was lässt sich denn für die zweite Auflage in 2024, vom 26. bis 30. Juni, verbessern und ergänzen? Das möchten auch wir von den Freunden des Museums gerne wissen, die wir dieses internationale Event unterstützt haben und auch weiter begleiten werden. Ja, das fiel auf: Obwohl alle Runden des Vorspielens öffentlich waren, hielt sich der (bis auf das Finale kostenfreie) Besuch des Konzertangebots sehr in Grenzen. „Es wäre schön gewesen, wenn die jungen Leute vor mehr Publikum hätten spielen können“, meint die Organisatorin. Auch denkt sie für Juni 2024 an einen Eröffnungsevent. Und man sollte, so Cordula Hacke, Führungen durch die Neess-Sammlung anbieten. Nicht zuletzt wäre ein Preisträgerkonzert in zeitlicher Nähe zum Wettbewerb ein anstrebenswertes Ziel. So man denn auf Unterstützung zählen könnte.
Die Begeisterung im Kreis der TeilnehmerInnen aus 21 Nationen war unübersehbar. Und so manche(r) will wiederkommen. Zum Beispiel ein junger Japaner, in dessen Begleitung ein Zeitungsjournalist seiner Heimat war, der zu Hause berichten will. Was sie sich wohl alle wünschen würden: Mehr Übungs- und Garderobenräume. Hier bietet das Museum nicht genügend Möglichkeiten. Warum nicht mal mit der Musikakademie am Schillerplatz in Kontakt treten?
Am Ende wurden alle drei Preise zweimal vergeben – ein eher ungewöhnlicher Schritt, dass die Preise und damit die Prämien (5.000, 3.000, 2.000 Euro) geteilt werden. Natürlich sagt, Cordula Hacke, wurde in der Jury auch über die Außenwirkung diskutiert. Doch man stellte übereinstimmend fest: Bei solch außergewöhnlich hohem Niveau ist dieser Schritt vertretbar. „Wir waren uns total einig.“ Für den Lebenslauf der jungen MusikerInnen sei ein Preis dieser Art sehr bedeutsam. Durchaus, betont die Professorin, sei das Können der TeilnehmerInnen mit denen des bekannten ARD-Wettbewerbs vergleichbar. Ganz bewusst übrigens wurde den Juroren und Jurorinnen das Alter der BewerberInnen nicht genannt – und ganz bewusst wird in Gedenken an Ferdinand Wolfgang Neess, der im hohen Alter als Flötist noch zwei erste Preise gewann, keine Beschränkung nach oben ausgesprochen. Eines will Cordula Hacke, die Ferdinand Wolfgang Neess am Flügel stets begleitet hatte, noch betonen: Sobald ein Flötist/eine Flötistin an der Hochschule eines Jury-Mitglieds studiert, enthält sich dieses der Bewertung.
Sehr zufrieden mit der Premiere ist auch Danielle Neess. „Es war wirklich hochkarätig“, verleiht sie ihrer Freude Ausdruck. Dazu weiß sie ein interessantes Detail zu berichten: Ein Bewerber, der aus den USA angereist war, hatte nach der ersten Runde abgebrochen – er fühlte sich dem Format der Konkurrenz nicht gewachsen. Bis in zwei Jahren die Fortsetzung ansteht, wird die Ferdinand Wolfgang Neess-Stiftung ihre Arbeit aufgenommen haben. Diesmal hat die Witwe den Wettbewerb privat finanziert, mit Hilfe einiger Sponsoren sowie des Museums und uns Freunden des Museums, die auch vor dem Auftakt einen Empfang ausrichteten. Dass sich neben Sponsoren die Stadt Wiesbaden 2024 für das internationale Ereignis interessieren möge, ist der Wunsch von Danielle Neess. Sie meint zu Recht, dass Wiesbaden sich durchaus mit solch einem Wettbewerb schmücken kann, aber vielleicht auch einen Beitrag leisten könnte, zum Beispiel, indem sie bei einer kostengünstigen Unterbringung der aus aller Welt anreisenden jungen Menschen behilflich wäre.
Einer, der das Potenzial durchaus erkannt hat, ist Martin Michel, Geschäftsführer der Wiesbaden Congress & Marketing GmbH. Er ließ es sich trotz Termindrucks nicht nehmen, an einem Tag den Wettbewerb zu besuchen. Im Vorfeld begrüßte übrigens auch Kulturdezernent Axel Imholz die Idee des Wettbewerbs im Museum, die Wertschätzung von Stadt und auch Land sei ihm sicher, meinte er im Telefonat. Die Idee, die außerordentliche Jugendstilsammlung mit der Musik dieser Zeit zusammenzubringen sei wunderbar. „Da gibt es nochmal einen ganz anderen Blick auf diese Epoche.“ Nun sei diesem kulturellen Ereignis Kontinuität in unserem Museum zu wünschen, so Imholz im Gespräch mit uns
Als sehr gelungene Premiere hat auch das aus der Schweiz angereiste Jury-Mitglied Qiling Chen den Flöten-Wettbewerb erlebt. Beeindruckend sei die musikalische Reife fast aller TeilnehmerInnen gewesen. Toll, wie intensiv sich alle vorbereitet hatten, sagt die in Jury-Arbeit sehr erfahrene Flöten-Solistin und Professorin für Querflöte an der Kalaidos Fachhochschule in der Schweiz. Nicht einfach sei es, nach dem pandemiebedingten Stillstand wieder zu spielen – um einen hochdotieren Preis. Qiling Chen gefällt es, dass Ferdinand Wolfgang Neess, den sie kannte und schätzte, als Vorbild steht – auch dafür, dass man nicht zu alt für einen Wettbewerb sein kann. Ihre Hochachtung gilt auch der Pianistin in der letzten Runde, Wanda Albota, denn die sechs Finalisten und Finalistinnen hatte ja freie Auswahl. Und forderten nicht nur sich, sondern eben auch die Klavierbegleitung sehr.
Einen Fürsprecher hat der Internationale Wettbewerb auch in Dr. Peter Hanser Strecker, Vorsitzender der Geschäftsführung von Schott Music Mainz. Das langjährige Kuratoriumsmitglied im Freunde-Verein nennt diese Verquickung von Jugendstilkunst und Musik des Art Nouveau eine tolle Idee. Das sei „weit mehr als Spielerei“. So würden die schönsten Werke, beispielsweise von Debussy, für Flöte und Klavier aufgeführt, werde diese Arbeit, die auch Ferdinand Wolfgang Neess am Herzen lag, fortgesetzt. Peter Hanser Strecker ist ein Jugendstil-Fan, mag sich die Neess-Schenkung – das Gesamtkunstwerk im Museum Wiesbaden – immer wieder anschauen.
Lassen Sie uns mit einer Stimme aus unserem Freundeskreis schließen: Die Familie Lesko aus Biebrich gehört zu denjenigen, die bereit waren, einen Teilnehmer des Wettbewerbs bei sich aufzunehmen. Gudrun Lesko schildert, wie sie einen von langer, anstrengender Zugfahrt (Wien/Wiesbaden) völlig erschöpften jungen Mann auf dem Bahnhof abholten – einen polnischen Teilnehmer, der zunächst nur noch schlafen wollte. Gerne kümmerte man sich darum, dass er pünktlich zu seinen Proben und Auftritten ins Museum kam. Dass sie einen späteren Preisträger beherbergten, konnte das Ehepaar und seine Tochter nicht wissen. Ein herzlicher Abschied fand statt, als der preisgekrönte Pawel wieder in früher Morgenstunde den Zug bestieg. Tags darauf teilte er seiner Gastfamilie mit, dass er eine gleich nach der Rückkunft in Wien anstehende Prüfung auch gut bestanden habe … „Wir würden wieder einen Gast bei uns zu Hause aufnehmen“, sagt Gudrun Lesko mit Blick auf den Juni 2024.
Ingeborg Salm-Boost
Auch Freunde-Mitglied Pia Braun-Gabler, Musikpädagogin und Flötistin, hat uns ihre persönliche Einschätzung vom Flötenwettbewerb übermittelt:
Internationale Flötenwettbewerbe in Deutschland sind rar. Die deutsche Gesellschaft für Flöte e.V. (Online-Wettbewerb) und die ARD München veranstalten in 2022 Wettbewerbe für junge internationale Flötisten … und dann gibt es diesen neuen Wettbewerb „Klang des Jugendstils“ von Ferdinand Wolfgang Neess (in memoriam) in Wiesbaden.
Ich freue mich sehr über das Engagement und das neue Konzept der Veranstalter (allen voran Cordula Hacke und Danielle Neess in Zusammenarbeit mit dem Landesmuseum und besonders auch mit der Unterstützung durch die Freunde des Museums Wiesbaden) und die wirklich persönliche Note dieser Veranstaltung. Im wunderbaren Ambiente des Museums Wiesbaden und entspannter Atmosphäre konnten sich Künstler wie Zuhörer wohlfühlen.
Die Idee Cordula Hackes, die 3. Sonate Debussys für Violine und Klavier – die sie zusammen mit Ferdinand W. Neess für Flöte und Klavier bearbeitet hat – als Pflichtstück in der ersten Runde von allen Teilnehmern spielen zu lassen, war ein gelungener Schachzug – ebenso die Aufgabe für die Finalrunde, ein individuelles Programm der Musik um 1900 zu kreieren!
Dass die jungen Flötisten diesen Präsenz-Wettbewerb dankend annahmen, zeigt die rege Teilnahme von über 50 Anmeldungen. Gerne hätte ich noch etwas über Alter, Ausbildung und Lehrer jedes Künstlers erfahren. In den Programmen der ersten Tage war darüber nichts zu finden, schade.
Den jüngeren Flötenschülern der Musikschulen der Umgebung hätte ich empfohlen, bei diesem interessanten Musikhighlight der Flötenszene vor ihrer Haustür ein paar Stunden zum Reinhören zu investieren, um wertvolle Interpretationsanregungen z. B. des Standardwerks „Syrinx“ von Debussy zu erhalten, gerade in der ersten Runde. Schön, wenn der Vortragssaal noch mehr gefüllt gewesen wäre.
Das Niveau der Teilnehmer war sehr gut, die internationale Präsenz der Künstler sehr erfreulich. Welch ein Glück, dass die jungen Menschen sich wieder live präsentieren können!
Mein Fazit: Ein toller neuer Flötenwettbewerb, der hoffentlich seinen Platz in der Musikszene und vor allem auch Sponsoren findet.
Bereits vor dem Wettbewerb hatten Uliana und Maël folgende Statements abgegeben:
Uliana Zhivitskaya:
„Die Gestaltung meines Wettbewerb-Repertoires war nicht leicht, aber sehr faszinierend. Ich hatte schon immer davon geträumt, eine Transkription eines Werks von Strawinsky zu schreiben, und hier gab es jetzt eine Chance!
Meine Idee war, die Faszination dieser Epoche zur östlichen Kultur zu zeigen. Deshalb habe ich eine Transkription (Fantasie) über Themen aus Strawinskys Oper „Nachtigall“ (1914) geschrieben, basierend auf Andersens Märchen über den Kaiser von China und die Stimme der Nachtigall, die die Macht hatte, den Tod zu besiegen. Die Nachtigall ist hier ein Symbol wahrer Kunst. Ich finde, das gibt Hoffnung.
Die zweite Bearbeitung wurde wie die Inkarnation meiner Vorliebe für die japanische Kultur geschaffen. Ich hörte mir die CD mit Liedern von Nikolai Tcherepnin (Elena Mindlina, David Witten) an und verliebte mich in Tcherepnins Stil und besonders in „7 Japanese Lyrics“ (1923). Die Partitur aller sieben Lieder existiert in Russland nicht und ich bat David Witten, mir zu helfen. Und ich war so glücklich, diese alte Partitur (die Erstausgabe, schätze ich) zu sehen, es war mein Traum!
Ich bin dem Wettbewerb dankbar für eine so große Motivation, die bezaubernde Welt der Belle Époque zu erkunden!“
(Übersetzung: Cordula Hacke)
Maël Metzger:
„Wann immer ich einen Wettbewerb, eine Prüfung vorbereite oder ganz gewöhnliche Kurse, tue ich immer ungefähr dasselbe.
Zunächst übe ich eine oder zwei Stunden die Technik. Ich arbeite auch Studien durch, die sich auf bestimmte Punkte konzentrieren, die ich verbessern möchte. Natürlich arbeite ich auch mit der Sammlung all dieser Flötisten, die ich zu Hause bei mir habe: Heriché, Taffanel, Bertold, Moyse, Reichert …
Danach arbeite ich an den Stücken, an einigen Teilen daraus, auch an besonderen Punkten. Wenn ich in einem großen Saal spielen soll, wie jetzt in Wiesbaden, arbeite ich noch zusätzlich an meinem Stand, an meiner Position im Raum, sodass der Klang voller wird. Ich übe auch das auswendige Spielen des Stücks, auch dann, wenn ich das anschließend im Konzert oder beim Wettbewerb nicht machen werde. Das hilft mir dabei, die Stücke besser zu beherrschen; alles wird dann sehr viel flüssiger. Manchmal spiele ich es auch auf dem Klavier, um die Harmonien besser zu verstehen, um dem Stück eine Richtung zu geben.
Im Augenblick, wo ich für den F.W.Neess Wettbewerb übe, reserviere ich mir große Räume im Pariser Konservatorium (CNSMDP), wo ich versuche, herauszufinden, wie ich dem Klang eine Richtung geben kann. Es ist sehr angenehm, dort in der Stille zu arbeiten.
Ich finde es sehr aufregend, an diesem Wettbewerb teilzunehmen, weil es immer toll ist, vor Publikum zu spielen, um meine Arbeit und meine Freude daran zu teilen.
Ich bin hocherfreut, an diesem Wettbewerb teilzunehmen, der sich der Musik um 1900 widmet. Nach meiner Auffassung ist es die wichtigste Aufgabe der Musik, Bilder zu transportieren, Sensationen und träumerische Momente.
Was mir besonders daran gefällt, symbolistische Musik zu spielen, ist, dass es sowohl eine sehr große Präzision erfordert und gleichzeitig Freiheit in der Gestaltung erlaubt. Ich glaube, das ist hier Aufgabe und die Freude für den Interpreten.
Was ich klar erhoffe ist, im Wettbewerb möglichst weit zu kommen, nicht nur, um einen Preis zu erhalten, sondern auch um das Vergnügen zu haben, all die Stücke spielen zu können, die ich mir für das Finale ausgesucht habe, damit in Wettbewerb zu treten und mich an dem großen Moment zu erfreuen.“
(Übersetzung: Christoph Deinhard)