Interview mit Dr. Andreas Henning

Von Herzkammer und DNA des Museumslebens

Findet die Verbindung von Kunst und Natur besonders reizvoll: Der neue Direktor ab März, Dr. Andreas Henning. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Das „Museum für alle“ ist ihm wichtig, und das Zusammenspiel von Kunst und Natur hält Andreas Henning, der von den Alten Meistern in Dresden ins vielseitige Wiesbadener Haus kommt, für äußerst reizvoll. Der neue Direktor möchte eng mit uns Freunden zusammenarbeiten. Wir hatten Gelegenheit, mit ihm über seine Eindrücke und Ideen zu sprechen.


Herr Dr. Henning, im März beginnen Sie Ihre neue Arbeit im Museum Wiesbaden. Im März wird auch die Ausstellung „Lebensmenschen“ mit den Werken von Jawlensky und Werefkin – derzeit in München zu sehen – eröffnet. Das könnte doch ein gutes Omen für Sie sein, denn mit einer Jawlensky-Ausstellung haben Sie 1991 das Wiesbadener Haus schätzen gelernt …

Ja, das kann man als gutes Omen sehen. Jawlensky liegt mir sehr am Herzen seit meiner Studienzeit. Das Ausstellungserlebnis 1991 in Wiesbaden zum 50. Todestag hatte mich bestärkt, Kunstgeschichte zu studieren. Die Kooperation von München und Wiesbaden bei der Schau „Lebensmenschen“ finde ich vorbildlich.

Auch wenn Sie schon häufig gefragt wurden: Bitte erklären Sie unseren Freunden des Museums nochmals kurz, was Sie bewogen hat, aus der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister in die hessische Landeshauptstadt zu wechseln.

So schön die Sammlung in Dresden ist, so denke ich, dass das Museum in Wiesbaden, mit Kunst vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart, für zeitgemäße Inspiration steht. Die Verbindung Kunst und Natur ist besonders reizvoll.

Ein gutes Stichwort. Mehrfach betont haben Sie, dass Sie Kunst und Natur im Zweisparten-Haus noch stärker verbinden möchten. Was schwebt Ihnen da vor?

Kunst und Natur, das bietet besondere Möglichkeiten, ganz aktuelle Themen aufzugreifen. Denken Sie etwa an „Fridays for Future“. Künstler sind ja oft ihrer Zeit voraus, und die Kompetenz auf der Naturschiene kann ein genialer Gegenpol sein. Hier gibt es eine ideale Verbindung. Es gilt, mit dem Team Konzepte zu entwickeln. Die Rheinromantik war zum Beispiel so eine wunderbare verbindende Ausstellung.

Wie sollte man sich Ihren Einstieg im Frühjahr vorstellen? Wo sind Ihre Prioritäten?

Als neuer Direktor werde ich erst einmal mit großen Augen und großen Ohren kommen, nicht mit einem Programm. Hier haben Jörg Daur und das Team gut geplant. Und neue Angebote gehen nur in Teamarbeit. Dazu muss ich erst einmal wissen, was die Kollegen wie Kuratoren, Restauratoren und Präparatoren denken, wir müssen ganz viel reden.

Das Thema Dauerausstellungen und die Schätze im Depot liegen Ihnen besonders am Herzen. Damit verbunden dürfte der schon vom Land versprochene Anbau eine große Rolle spielen …

Die Dauerausstellungen sind die Herzkammer des Museums. Wenn man solche Schätze wie in Wiesbaden hat, müssen sie dauerhaft zu sehen sein. Deshalb ist die rasche Realisierung des Anbaus so wichtig; wir brauchen neue Flächen für Sonderausstellungen und fürs Depot, das platzt aus allen Nähten.

Ihr Vorgänger hat den privaten Museumserbauer Reinhard Ernst sehr unterstützt und betont, wie gewinnbringend eine Zusammenarbeit mit dem Museum für abstrakte Kunst sein würde. Sehen Sie das genauso?

Ich begrüße es sehr, dass er in unmittelbarer Nachbarschaft baut, und von einer Zusammenarbeit werden alle Besucher profitieren. Durch das Ernst-Museum wird auch die Kulturmeile noch stärker ins Bewusstsein gerückt.

Sie sind Spezialist für italienische Malerei, wie gut kennen Sie sich mit der zeitgenössischen Kunst aus, die bei uns eine große Rolle spielt?

Ja, ich bin Spezialist für Alte Meister, dies ist eine wichtige Grundlage, um ein Auge für Qualität zu haben. Ich habe mich auch immer mit zeitgenössischer Kunst befasst. Jedoch wollen wir nicht vergessen, dass für alle Bereiche die Fachleute im Museum sitzen und ihre Kompetenz die entscheidende Grundlage für alle Arbeit ist.

Bleiben wir bei den Museumsaktiven. Wie war denn das erste Zusammentreffen. Fühlten Sie sich willkommen geheißen?

Es war eine gute Begegnung, es wurden auch erste Ideen angesprochen. Ich glaube, dass das Museum Wiesbaden eine sehr produktive Atmosphäre hat, die müssen wir unbedingt bewahren.

Ein Wort zum Bereich Bildung und Vermittlung. Gefällt Ihnen das Angebot?

Das ist vorbildlich und absolut zeitgemäß. Auch das starke Engagement des Freundeskreises in diesem Bereich ist eine entscheidende Grundlage für eine solch gute Vermittlungsarbeit.

Die Ministerin hat Sie gelobt, weil Sie neue Wege der Zugänglichkeit ebnen, mehr erklären wollen, ein neues Publikum fürs Museum begeistern möchten. Wie gehen Sie das an?

Unsere Gesellschaft ist wahnsinnig vielfältig, mit sehr unterschiedlichen Bildungshintergründen. Wir wollen das Museum für alle interessant machen, dabei setze ich auf die Zusammenarbeit mit dem Freunde-Verein. Der hat übrigens auch mit der Studentencard ein gutes Angebot.

Es gab mal das Projekt „Second Life“ in der Gemäldegalerie Dresden. Bitte erklären Sie es kurz.

Das war ein interessantes Digital-Experiment in einer 3D-Online-Welt. Heute ist das nicht mehr der Weg. Museen müssen aber immer ein waches Auge haben, wie sie die Menschen erreichen können. Beispielsweise mit der Online Collection, damit man erst einmal im Netz schon sehen kann: Welche Schätze werden angeboten? Im zweiten Schritt sollten dann weitere Infos erfolgen. Sehr gut ist übrigens, dass das Museum Menschen unter 18 Jahren freien Eintritt gewährt.

Wir Freunde sind ebenfalls stark beim Thema Junge Menschen und Museum aktiv. Können Sie sich da eine Zusammenarbeit vorstellen?

Aber ja, sehr gut. Ich habe mich unter anderem auf Ihrer Website darüber informiert, was Sie alles machen. Der eintrittsfreie Samstag, den der Verein mit ermöglicht, ist eine ganz wichtige Sache für alle Altersgruppen. Für das, was Sie mit dem Förderkreis in die Gesellschaft tragen, muss das Museum dankbar sein. Ich möchte sagen: Wenn die Sammlungen die Herzkammer sind, ist der Freundeskreis die DNA des Museumslebens. Sie sind alle Botschafter.

Das hören wir gerne. Natürlich sind wir sehr gespannt auf das Miteinander, Sie sind qua Amt im Vorstand des Förderkreises. Haben Sie mit einem solchen schon Erfahrungen in Dresden sammeln können?

Ja, ich habe gut mit den Freunden in Dresden zusammengearbeitet und insbesondere auch viel Freude am erfolgreichen Zusammenwirken mit dem Kreis der jungen Freunde (bis 35) gehabt.

Ärgert es Sie, wenn der von Ihnen in der Pressekonferenz gewählte Currywurst-Stand-Vergleich im Zusammenhang mit dem „Museum für alle“ bei einigen Kunstkritikern und Kunstinteressierten zu hämischen Bemerkungen führte?

Nein. Offenbar hat nicht jeder das Bild verstanden, vielleicht war es für manche ein zu starkes Bild. Der Stand auf dem Wiesbadener Wochenmarkt, den ich erwähnte, steht für Lebendigkeit und Vielfalt der Menschen. Wäre doch schön, wenn wir das in den Museen erlebten. Da müssen wir kontinuierlich dran arbeiten.

Wir finden es sehr schade, dass Sie unseren Neujahrsempfang nicht besuchen, was hält Sie fern? Und können wir mit einer Grußbotschaft rechnen?

Ich bedaure sehr, aber ich kann es leider zeitlich nicht schaffen. Wir haben die Gemäldegalerie in Dresden nun sieben Jahre saniert, seit Anfang Januar ist sie komplett zu, denn wir sind nun bei der langwierigen und komplizierten Hängearbeit für die neue Dauerausstellung. Deshalb fehlt mir leider das Zeitfenster, den doch weiten Sprung nach Wiesbaden zum Neujahrsempfang zu schaffen. Gerne komme ich Ihrer Bitte nach und schicke eine Grußbotschaft.

Unsere Interviews auf der Freunde-Website enden damit, dass man sich fürs Museum etwas wünschen kann. Was ist Ihr Wunsch?

Dass es gleich zu Anfang gelingt, die Anziehungskraft der Dauerausstellungen weiter so zu steigern, dass sie zu einem wirklichen Magnet werden – einem Magnet, der die Wiesbadener, die Menschen aus der Umgebung und die Touristen gleichermaßen ins Haus führt. Denn bei allen attraktiven Sonderausstellungen – die Dauerausstellungen sind die Herzkammer.

Und dann wünsche ich dem Museum, dass seine Bienenvölker auf dem Dach eine vielfältige und stete Blütentracht in Wiesbaden finden und ihnen somit ein gesundes und lebendiges Wachstum möglich ist – und uns allen leckerer Honig.

Das Gespräch führte Ingeborg Salm-Boost


Andreas Henning (50) studierte Kunstgeschichte und Germanistik in Düsseldorf und Berlin. Nach Stationen in Rom und Stuttgart ist er seit 2004 Kurator für italienische Malerei der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und seit 2013 stellvertretender Direktor. Der gebürtige West-Berliner, aufgewachsen in Kempen bei Krefeld, ist mit einer Kunsthistorikerin verheiratet und nun auf Wohnungssuche in Wiesbaden – was, wie er schon feststellte, nicht so einfach ist. Seine Hobbys sind Wandern (da freut er sich auf Wiesbadens Umgebung) und das Klavierspiel.

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