Kazuo Katase: Im Gedenken

Ein letzter Gruß

Kazuo Katase war mehr als fünfunddreißig Jahren im Museum Wiesbaden zu Hause. Vielmehr noch hat seine Kunst hier Raum und Ort gefunden. Bereits 1987 präsentierte er eine großformatige Farbfotofotografie des Gemäldes „Die Ährenleserinnen“ von François Millet (1857) in einer oktogonalen Rauminstallation.

Das Oktogon war damals abgeleitet von den achteckigen Eingangsräumen in die Galerie, setzte sich mit seiner rauen Holzkonstruktion zugleich aber auch ab von der umgebenden Situation, in diesem Fall dem Saal mit italienischer Malerei. Im Inneren des hölzernen Oktogons befand sich neben dem in blaues Licht getauchten Farbnegativ des Millet’schen Gemäldes eine Schale, sowie drei Schaufeln, deren Holzstiele farblich unterschieden in den Grundfarben Rot, Gelb und Blau gefasst waren.

Diese Farbtrias findet sich im Originalgemälde in den Kopftüchern der ährenlesenden Frauen. Die drei Frauen bilden dabei nicht nur farblich eine Reihe, sondern führen dem Betrachter eine Folge von drei Positionen ihrer mühsamen Arbeit vor: das Beugen, Auflesen und Wiederaufrichten. Die Mühsal der Arbeit wird noch dadurch präsenter, dass im Hintergrund geschäftige Erntearbeiten stattfinden. Die drei Frauen lesen in ihrer Armut nur die Reste auf, gnädig geduldet vom Großgrundbesitzer.

Das Gemälde von Millet ist eine Sozialstudie, die die Lebens- und Arbeitsbedingungen der armen Landbevölkerung darstellt, doch bereits er – und in seiner Nachfolge auch Katase – ehrte diese Menschen mit seiner Malerei und dem klaren Ausdruck der Formen und Farben, die sich deutlich vom Rest des Bildes absetzen. Katase stellte in seiner Installation die Schale hinzu, Gefäß zum Sammeln und Aufbewahren, auch ein Symbol der Arbeit der Frauen. Und stellte dazu drei Schaufeln, gemeinhin eher Arbeitsgerät der Männer, aber doch mit den Frauen aufs Engste verbunden durch die Primärfarbigkeit und die aufrechte Anordnung im Raum.

Kazuo Katase, Installationsansicht „Ohne Titel (Schwarze Kugel)“, 1989/90 mit „Schale 27.9.2016“, „Schale 13.6.2012“, „Ohne Titel (No-Maske)“, 2015 und „Mu-wan“, 2011 (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)
Kazuo Katase, Installationsansicht „Ohne Titel (Schwarze Kugel)“, 1989/90 mit „Schale 27.9.2016“, „Schale 13.6.2012“, „Ohne Titel (No-Maske)“, 2015 und „Mu-wan“, 2011 (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Die Elemente in Katases Installationen sind präzise ausgerichtet. Aufeinander abgestimmt geben sie sich Bedeutung; sich selbst, zugleich aber auch dem Raum, in dem sie sich befinden. So bespielt 1996 auch der zweite Auftritt Katases im Museum Wiesbaden in besonderer Weise die Räumlichkeiten: „Das Blaue Haus (die gefangene Zeit)“ wird in den beiden ‚Steinsälen‘ links und rechts des Eingangsoktogons gezeigt. Und wieder durchmisst blaues Licht die Räume, legt sich als Farbstimmung um die sparsamen gesetzten Elemente: ein Haus, ein Foto, ein Leuchtkasten und Schaukeln. Letztere stehen still, nicht nur der Raum wird gehalten, sondern mit ihm auch die Zeit.

Sie ist Teil von Katases Installation „Raum eines Raumes – Die Allegorie der Photographie“ bei den Alten Meistern: „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

2009 schließlich folgt der nächste Abschnitt: im großen Saal des Unterparterres wird die Installation „Raum eines Raumes – Die Allegorie der Photographie“ präsentiert. Aus Anlass der Verleihung des Ritschl-Preises an Kazuo Katase findet zum ersten Mal eine Idee Gestalt, die vier Jahre später im Bereich der Alten Meister eingerichtet werden wird. Inmitten von Gemälden aus dem ‚goldenen Zeitalter‘ der niederländischen Malerei findet sich auch hier ein zum Raum gewandelter Ort, ein Zentrum in Gestalt einer Perle, die Malerei und Welt in einen einzigen Augenblick bindet, zu einer Erfahrung, die uns innehalten, die uns schauen lässt.

Wieder sind es die Grundparameter von Zeit und Raum, die sich in der künstlerischen Arbeit Kazuo Katases ablesen lassen. Die Verortung in Raum und Zeit spielt die wesentliche Rolle, jede Installation ist gedanklich durchdrungen und inszeniert, lässt im visuellen Nachvollzug die eigene Position bestimmbar werden.

In diesem Sinne präsentierte Katase in den folgenden Jahren zweifach Werkgruppen aus seinem Schaffen in Form eines Künstlerraums im Rundgang der Kunstsammlung des Museums Wiesbaden.

Kazuo Katase, Schale 13.6.2012, Pastellkreide auf Bütten, Museum Wiesbaden, Schenkung des Künstlers (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

2013 zeigte er einen Raum mit seinen „Schalen“, mit Pastellkreiden gemalte Gefäße, die für die lebendige Farbe genauso stehen, wie für die in sich ruhende Form, für den Klang der Farbe und das Volumen im Raum. Und im Zentrum des Raumes stand die Urform, die Schale als Objekt. Das Verhältnis zwischen Objekt, Fotografie, Negativbild und zuletzt wieder davon abgeleitetem malerischen Ausdruck des Bildes wird befragt, alle Ebenen der Sichtbarkeit werden aufgezeigt.

Künstlerraum „Katazuke: Formung“ (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)
Künstlerraum „Katazuke: Autobiografische Formung“ (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Zum 70. Geburtstag des Künstlers erfolgte dann ein besonderes Geschenk, als er im Sommer 2017 unter dem Titel „Katazuke: Formung“ einen Raum seiner Kunst einrichtete, der von den Anfängen bis in die Gegenwart sein Arbeiten, seine Anliegen und Ausdrucksformen vorstellt und zueinander in Beziehung setzt. Die Seh-Schulen mit ihren manifesten Beziehungen im und durch den Raum, die Befragung der Fotografie, die Negativform und -farbe als Spiegel der Wirklichkeit, bis hin zum zentralen Thema der Schale, das Mitte der 1980er Jahre zum ersten Mal ins Zentrum seiner Werke rückt. Dazu entstand ein Text, der autobiographisch das Werden und Werken Katases nachzeichnet, eines Künstlers, der eigenständig zwischen Ost und West vermittelt, gerade weil in der Spannung zwischen dem Hier und dem Dort, mithin aus der Distanz die wesentlichen Dinge überhaupt erst wahrgenommen werden können.

Kazuo Katase, Schale 13.6.2012 / Schale 31.3.2012, Pastellkreide auf Bütten, Museum Wiesbaden, Schenkung des Künstlers (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Im Gedenken an ihn zeigen wir heute in der Kunstsammlung zwei seiner Schalen, hell und dunkel, aus dem Positiv und Negativ der Fotografie gewonnen und doch malerisch in Pastellkreide zum Leben erweckt. Dazu legen wir das Büchlein mit seinem autobiographischen Text. Danke für alles, Kazuo.

Jörg Daur

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