KunstStücke

Die unnahbare Schönheit

„[…] Dank der himmlischen Schönheit jener Frau und einer dermaßen geschulten Hand wurde es ein göttliches Gemälde“ [1]. Ja, schön ist diese Dame wirklich. Stolz und distanziert blickt sie einen an, sodass mir das Bedürfnis aufkommt, ihr ein Lächeln entlocken zu wollen. Doch als Betrachter scheint man nicht recht willkommen. Dieses Gemälde ist keine Selbstdarstellung und auch keine Auftragsarbeit der Porträtierten selbst. Das spürt man schon beim ersten Blick. Sebastiano del Piombos Bildnis der Giulia Gonzaga ziert den Porträtsaal der Alten Meister im Museum Wiesbaden und reiht sich dort neben Feuerbachs „Nana“, Marietta Robustis „Bildnis einer Dame als Flora“ und Reynolds Portrait der „Mrs. Cholmondeley“ ein. Schon oft bin ich an ihr vorbeigelaufen und versuchte ihr Geheimnis zu enträtseln. Und Geheimnisse – so habe ich beim vergangenen Jour Fixe der Freunde des Museums am 30. Mai 2023 erfahren – gibt es um dieses Bild sehr viele. Was hält sie in der Hand? Warum der besondere Blick? Was hat es mit der dunklen, sehr dezenten Kleidung auf sich?

Stimmt die Freunde-Mitglieder im Museumscafé Trüffel auf den Besuch bei „Giulia Gonzaga“ ein: Dr. Peter Forster bei der lockeren Einführung am Jour Fixe-Abend. (Foto: Josh Schlasius)

Die Dame im Bildnis ist Giulia Gonzaga, eine italienische Adelige, die bereits im zarten Alter von 13 Jahren verheiratet wurde. Man mag sich nicht ausmalen, wie jemand fühlt, der ohne Mitspracherecht einem fremden Mann übergeben wird. In Giulias Falle kommt erschwerend hinzu, dass ihr Ehemann bereits Witwer war und eine Tochter hatte. Zudem beschrieb ihn der Botschafter von Mantua mit den Worten: „bei schlechter Gesundheit, lahm und verkrüppelt“[2]. Eine romantische Ehe war also ausgeschlossen. Giulia wurde schon zwei Jahre nach ihrer Hochzeit selbst zur Witwe. Gonzaga, die in einigen Quellen ihrer Zeit als schönste Frau Italiens gehandelt wurde, fand jedoch schnell einen neuen Verehrer: Kardinal Ippolito de‘ Medici. Was zunächst wie ein Märchen klingen mag, hatte jedoch einen Haken. Genau genommen sogar mehrere: Erstens war Ippolito de‘ Medici eigentlich als Bräutigam von Giulias Stieftochter Isabella Colonna vorgesehen.  Zweitens hatte Giulias verstorbener Mann in seinem Testament veranlasst, dass ihr das volle Erbe nur dann zustehe, wenn diese nicht erneut heirate. Im Falle einer Trauung mit einem neuen Mann, bekäme sie lediglich ihre Mitgift und Tochter Isabella werde Alleinerbin. Drittens war Giulia Gonzaga von Natur aus ein hoch religiöser Mensch, schloss sich später sogar der Bewegung der „spirituali“ an und war entsprechend vor allem um ihre Tugend bedacht, statt nach einem Gatten zu suchen. Die Werbung des Medici war also nicht von Erfolg gekrönt. Dass wir heute ein Gemälde von ihr im Museum Wiesbaden finden, ist der Beharrlichkeit des Kardinals zu verdanken, der seine Angebetete – wenn schon nicht in Präsenz – zumindest als Bildnis bei sich haben wollte. Im Sommer 1532 entsandte er Sebastiano del Piombo mit einem „Geleit von vier unbewaffneten Reitknechten“[3], um ein Portrait von Giulia Gonzaga anzufertigen. Es war vermutlich das einzige, welches in ihrer Anwesenheit gemalt wurde, doch Sebastianos Werk rief solche Bewunderung hervor, dass danach viele Kopien folgten.

Sebastiano del Piombo: Porträt der Giulia Gonzaga, 1532, Öl auf Schiefertafel; Sammlung Alte Meister, Museum Wiesbaden. (Foto: Bernd Fickert)

Die Notwendigkeit eines Geleits aus vier Männern deutet bereits darauf hin, dass Giulia Gonzaga diesem Besuch nicht sehr freudig gegenüberstand. Daher mag auch die distanzierte Haltung im Bild entstanden sein. Sie könnte als Antwort auf das Werben Ippolitos gelesen werden: Ihre Kleidung zeigt sie als Witwe, nicht als heiratsfreudige Frau. Sie muss sich nicht mit Schmuck in Szene setzen, wirkt aber dennoch edel und selbstbewusst. Stolz ihr Blick, doch nicht verliebt lächelnd. Ihre linke Hand stützt sich auf eine Kiste – Ihr Erbe und Vermögen? Die Finger der Rechten umspielen eine Kette, bei der sich in gutem Licht und mit geschultem Auge zeigt, dass sie an einem Tier befestigt ist. Ob es sich um den Pelz einer wohlhabenden Frau handelt oder um ein Begleittier an einer Leine, ist bedauerlicherweise nicht mehr zu klären. Zeit und ungeschickte Restaurationen in früheren Epochen haben die Details leider unkenntlich gemacht. Nichtsdestotrotz ist klar: Sie weiß, wer sie ist und hat kein Interesse am Auftraggeber des Porträts.

Die Distanziertheit wird zuweilen auch als verinnerlichte Christusliebe gelesen [4], was sich ebenfalls über die Wahl des verwendeten Materials begründen lässt. Sebastiano del Piombo entschied sich bei der zeitlosen Schönheit nämlich nicht für Holz oder eine gewöhnliche Leinwand als Maluntergrund, sondern belebte die Methode „Öl auf Stein“ neu. Das Bildnis der Gonzaga ist auf eine Schieferplatte gemalt worden und wird daher zu einem ewigen Werk. Kein Holzwurm kann hier Schaden zufügen. Durch den Schiefer ist es allerdings immer noch pfleglich zu behandeln, weshalb das Werk im Museum Wiesbaden nicht (mehr) auf Wanderschaft gehen kann. Außer bei uns wird sie also nicht in einer Ausstellung zu Sebastiano del Piombo auftauchen. Dabei wäre auch über ihn einiges zu berichten.

Lüfteten das Geheimnis um Piombos Porträt der Giulia Gonzaga: Museumsdirektor Andreas Henning und Kustos Peter Forster, die mit ihren kenntnisreichen und unterhaltsamen Schilderungen die Freunde-Mitglieder begeisterten. (Foto: Josh Schlasius)

Ursprünglich in der Musik beheimatet (der Künstler lernte Gesang und diverse Instrumente), wurde Sebastiano später von Bellini ausgebildet. Nach seiner Ankunft in Rom 1511 malte er Fresken, Andachtsbilder und Porträts. Dort fand er auch eine freundschaftliche Verbindung zu Michelangelo, der ihn in einem Wettstreit mit Raffael protegierte. Michelangelo half Sebastiano mit Skizzen, die letzterer für die Ausmalung einer Tafel zur „Auferweckung des Lazarus“ verwendete. Zeitgleich arbeite Raffael an seiner „Transfiguration“. Hinter verschlossenen Türen schufen beide Künstler ihre Motive, wobei Sebastiano deutlich schneller fertig wurde als Raffael. Dieser ließ wohl aus taktischen Gründen zunächst den „Newcomer“ arbeiten, um anschließend auf Sebastianos Werk reagieren zu können. Beide Bilder wurden im Konsistorium nebeneinander aufgestellt und verglichen. Nach Raffaels überraschend frühem Tod war es unabhängig von den künstlerischen Fähigkeiten der beiden Kontrahenten jedoch kaum möglich, den Meister der Renaissance zu übertreffen. Und das, obwohl es für beide Arbeiten sehr viel Lob gab. Sebastiano del Piombos „Lazarus“ wurde in die Kirche St. Juste im französischen Narbonne gebracht (für die es auch vorgesehen war). Raffaels „Transformation“ behielt man hingegen in Rom.

Nach der Sacco di Roma 1527, überkam Sebastiano eine depressive Phase, in der er Aufträge zu vernachlässigen schien und nachhaltig mit den Eindrücken der Plünderungen zu kämpfen hatte. Womöglich waren diese Erlebnisse auch ein Grund, warum er beginnend mit Gonzagas Porträt die Schiefertafel präferierte. Nicht unzerstörbar, aber doch deutlich robuster als die üblichen Materialien. Ein Stilwandel, das veränderte Gemüt und eine spätere Anstellung als Siegelverwahrer führten dazu, dass Sebastiano del Piombo nach seinem Tod 1547 keinen guten Ruf mehr genoss. Daher dauerte es lange, bis man ihn in der Kunstwelt wiederentdeckte – besonders für seine herausragenden Porträts.

Und das schönste von allen hängt womöglich in Wiesbaden. Bleibt noch ein Geheimnis offen: Handelt es sich bei dem Werk in unserem Museum nun um das Originalbild aus der Hand Sebastiano del Piombos oder ist es nur eine der Kopien? Nach einigen kunstwissenschaftlichen Diskursen erscheint es mir persönlich klug, diese Frage wie Schrödingers Katze zu behandeln: Wir lassen die Kiste lieber geschlossen, denn ein ungelöstes Geheimnis macht manches Mal den größeren Reiz aus. Solange wir es nicht hinterfragen, ist es selbstverständlich das Original. Doch schauen Sie gerne beim nächsten Besuch nach und urteilen Sie selbst: Kann die himmlische Schönheit einer geschulten Hand entstammen?

Antje Schilling


Zur Person
Antje Schilling, Germanistik M.A. sowie zweites Staatsexamen im Lehramt für die Fächer Philosophie und Deutsch, war bis Januar 2023 als Lehrerin in Brandenburg tätig. Nach ihrer Rückkehr ins Rhein-Main-Gebiet hat sie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, wo sie als wissenschaftliche Hilfskraft arbeitet, ein Studium der Kunstgeschichte und Publizistik (im B.A.-Studiengang) aufgenommen; nebenberuflich ist sie im Dommuseum Mainz tätig. Kunst und Literatur erfüllen sie mit Freude und wecken ihre Neugier immer wieder aufs Neue. Das Museum Wiesbaden empfindet sie als eines der schönsten der Region. Gerne ist sie Mitglied bei den Freunden geworden und schätzt deren vielfältige Angebote sehr. Unter den Freunde-Mitgliedern hat sie bereits gute Bekanntschaften knüpfen können. (red)

Literatur
[1] Vasari, Giorgio (1568): Das Leben des Sebastiano del Piombo. Neu übersetzt und kommentiert. Berlin: Wagenbach 2004, S. 27.
[2] Bruto Amante: Giulia Gonzaga contessa di Fondi e il movimento religioso femminile nel secolo XVI, Bologna 1896, S. 9.
[3] Vasari, Giorgio (1568): Das Leben des Sebastiano del Piombo. Neu übersetzt und kommentiert. Berlin: Wagenbach 2004, S. 26.
[4] Engel, Dr. Sabine: Porträts schöner Frauen mit spirituellen Ambitionen. Rezension zu Vahlands „Lorbeeren für Laura. Sebastiano del Piombos lyrische Bildnisse schöner Frauen“. Kunstchronik. Monatsschrift für Kunstwissenschaft, Museumswesen und Denkmalpflege 2014, S. 86.

 

 

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