KunstStücke
Das Museum Wiesbaden als Inkubator
Als mein Mann und ich vor über 50 Jahren unsere Heimat, die Niederlande, verließen, um uns in unserer Wahlheimat im schönen Rheingau niederzulassen, ahnten wir nicht, dass sich in unserer unmittelbaren Nähe ein Schatzhaus befinden würde – das Museum Wiesbaden.
Beim ersten Besuch dieses Hauses, das in unseren Augen einem geschrumpften Kosmos gleicht, waren wir sofort verliebt in diese wunderbare Institution mit seiner Naturhistorischen Sammlung und seiner Kunstsammlung. Diese beiden Sammlungen wurden unsere Lehrmeister. An ihnen schulten wir unsere Augen, und sie waren und sind eine große Inspirationsquelle für die seitdem auf dem Johannisberg entstandene eigene, ebenfalls Cross-over-Sammlung.
Ja, man kann sagen, dass im Museum Wiesbaden unsere Augen geöffnet wurden, und zwar so weit, wie die Augen Nikitas auf dem gleichnamigen grandiosen Porträt, das Alexej von Jawlensky gemalt hat und das zu unseren Lieblingsstücken des Museums zählt. Wir betrachten es als ein großes Geschenk, dass uns im Museum Wiesbaden die Augen geöffnet wurden, und wir bedauern es sehr, dass unglaublich vielen Menschen dieses Glück verwehrt wird, weil sie Museen nicht besuchen und auch sonst keinen Zugang zur Kunst finden.
Auch der Dichter Rainer Maria Rilke hat sich mit diesem Thema beschäftigt, was er unter anderem in seinen Duineser Elegien zum Ausdruck gebracht hat. Er stellt darin die poetische Hypothese auf, dass es das Schicksal der Welt sei, unsichtbar zu werden. Er meinte natürlich nicht, dass die Welt tatsächlich unsichtbar wird, sondern dass der Prozess in den Menschen abläuft. Zu viele Menschen sehen nicht mehr die Schönheit in den anderen Menschen, nicht mehr die Schönheit in der Natur und nicht mehr die Schönheit in der Kunst.
Gerade in einer Zeit, in der die Menschheit von finanziellen, ökologischen und sozialen Schockwellen überzogen wird – und dies in dichter Folge –, brauchen Menschen die Schönheit wie die Luft zum Atmen. Ja, der menschliche Geist sucht unbewusst ein Gegengewicht zu negativen Informationen, und dieses Gegengewicht ist das Schöne, und – so Dostojewski – es ist das Schöne, das die Welt retten wird.
Vor diesem Hintergrund ist es die vordringlichste Aufgabe von jedem von uns, die abgebrochene Verbindung mit dem Kosmos wiederherzustellen. Das klingt esoterisch, aber der Gedanke stammt von einem Menschen, der alles andere als ein Esoteriker ist. Sein Name ist Professor Jürgen Strube, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der BASF und später Aufsichtsratsvorsitzender dieses Dax-Konzerns.
Für die Verbindung mit dem Großen und Ganzen verfügen wir Menschen über ein „nicht organisches Organ“, das tatsächlich nur eine Aufgabe hat, die vorhin genannte Verbindung aufrechtzuerhalten, es ist unsere Seele. Die Verbindung kann sie nur halten, wenn sie genährt wird, und die Nahrung der Seele heißt Spirit. Spirit gibt es konzentriert nur in zwei Bereichen: in der Religion und in der Kunst.
In diesem Sinne sehe ich das Museum Wiesbaden mit seinen Sammlungen als so etwas wie eine Tankstelle, eine Spirit-Tankstelle, an der wir uns immer wieder voller Neugierde und Vorfreude begegnen, um aufzutanken. Vor 50 Jahren konnten wir nicht ahnen, wie eng die Verbindung zu diesem Museum werden würde. Dort durften wir zusammen mit dem hochprofessionellen Team daran mitwirken, Ausstellungen mit den Werken des Schweizer Künstlers Roger Pfund, des niederländischen Künstlers Berend Hoekstra und der deutschen Künstlerin Helga Schmidhuber zu organisieren.
Unser 30-jähriges Firmenjubiläum haben wir unter anderem mit einer Schenkung des Gemäldes o.T. (aus „Wenig Zeit zwischen zwei Fingern“) aus dem Jahr 2013 gefeiert. Als dieses Bild in unmittelbarer Nähe des Künstler Albert Oehlen, dessen erste Meisterschülerin Helga Schmidhuber war, gezeigt wurde, haben wir wieder gemerkt, wie wunderbar es dem Museumsteam immer wieder gelingt, einzigartige Bezüge herzustellen.
Es lebe das Museum Wiesbaden!
Mieke Teunen
Zur Person
Mieke Teunen war neun Jahre Mitglied im Kuratorium der Freunde des Museums Wiesbaden, wo sie in den Anfangsjahren im Organisationsteam der Museumsgala mitgewirkt hat. Mit Ehemann Professor Jan Teunen fördert sie seit vielen Jahren Künstler und Designer. Die beiden leben seit 47 Jahren auf Schloss Johannisberg im Rheingau.