KunstStücke

Einbahnstraßen der Kunst

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir ist immer höchst unwohl, wenn Kunst und Künstler mit effektheischenden Etiketten versehen werden, Schlagzeilen gleich. Mir ist dann, als würde hier – koste es, was es wolle – etwas per se Freies in eine Kategorie gepresst, um damit umgehen zu können. Um es einschätzen und das mehr oder minder Neue, Fremde, Andere aushalten zu können. Denn: Ist es benannt und einsortiert, kann man damit arbeiten. Innovation kann in der Kunstwelt so problematisch sein wie Tradition. Bei ersterer besteht die Crux des Umgangs damit, bei letzterer müssen manchmal knallige Slogans her, um Aufmerksamkeit zu erregen und Öffentlichkeit herzustellen für fast Vergessenes. Idealerweise hat da ein (immerhin) solide handwerklich tätiger Künstler, obwohl vor Jahrzehnten verstorben, geradezu hellseherisch zeitlos-moderne Werke geschaffen, die ein Anknüpfen an die Krisen der Jetztzeit ermöglichen. Plötzlich ist alle Kunst politisch, seine sowieso, und das ein für alle Mal. Andere Sichtweisen als die postulierte blendet der Tunnelblick aus.

Hat sich ein Kunstschaffender selbst einschlägig geäußert, wovon man ihm doch eher abraten würde, da sonst auf die gesamte Produktion vor und nach dieser Aussage genau dieses Label geklebt wird, ist das für eine momentane Einordnung hilfreich. Sätze wie: „Meine Werke sollen als gegenwartskritischer Kommentar dienen.“, sind natürlich der Traum eines jeden, der sich mit diesem Oeuvre jetzt oder später professionell befasst. Da hat man schon ein Motto, einen Anhaltspunkt. So etwas kommt auch nie aus der Mode, denn irgendwo brennt es immer, gestern, heute, morgen. Schwieriger wird es, wenn ein Kreativer nichts Eindeutiges formuliert, quasi bei entsprechenden Fragen um den heißen Brei herumredet. Vielleicht, weil er sich nicht in eine bestimmte Ecke (politisch, sozial, religiös) schieben lassen möchte, vielleicht, weil er sich lieber alle Arten und Freiheiten des Schaffens, des Selbstausdrucks offen lassen möchte, vielleicht, weil Kunst in erster Linie etwas Persönliches, Eigenes, Experimentelles ist und erst auf einer zweiten Ebene mit dem Zeitgeist kommuniziert. Also was nun? Wo passt er hin, wo will er hin, der Maler, Grafiker, Bildhauer, Holzschneider? L’art pour l’art? Nein, nein, so simpel will man’s nicht haben!

Gute Aussichten für ein individuelles Kunsterlebnis bestehen in der Ausstellung „Gemischtes Doppel: Die Molls und die Purrmanns“ (Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden)

Es hat mir schon ansonsten gut inszenierte Ausstellungen verdorben, wenn vom ersten bis zum letzten werkbegleitenden Text oder in Führungen scheuklappenartig ein einziger Kurs thematisiert wurde. Als würde dem prinzipiell offenen Besucher eine bestimmte Leitlinie des Wahrnehmens, eine Denkspur vorgegeben, eine Sichtweise aufgedrängt, von der nicht abzuweichen ist: die Einbahnstraßen der Kunst. So wird unter Umständen nicht nur der Künstler mit seinem Werk in eine praktikable Form gepresst, sondern der Betrachter gleich mit ihm. Dass mir das nicht schmeckt, ist klar. Kunst will ich selbst entdecken, spüren, denken, meine eigene Beziehung herstellen zum Schaffenden und seinem Werk, mir selbst ein Urteil bilden. Das traue ich mir zu und das traue ich mich auch, ich fordere das ein! Ich freue mich über fachkundige Impulse und Informationen in sprachlich geschmeidigen, fehlerfreien Texten, denn diese tragen eine Ausstellung qualitativ mit. Insofern ergibt sich für mich manchmal ein Dilemma, das Sie eventuell nachvollziehen können: Will ich der gegebenenfalls zu starren Schiene einer Ausstellung entgehen, das heißt meine Unbefangenheit und Freiheit als Betrachter bewahren, darf ich deren Begleittexte höchstens bezüglich knapper Hinweise überfliegen. Oder müsste ich diese sogar konsequent beiseitelassen und ebenso Führungen besser meiden, um maximal unbeeinflusst durch die Schau zu schlendern? Meine jüngste Schwester macht das nur noch so. Ich lerne aber gerne möglichst viel dazu, wenn ich mich an Kunst erfreue und lese daher jedes Wort, übrigens mitverantwortlich dafür, warum ich sehr viel Zeit und mehrere Besuche brauche, bis ich alles gesehen habe.

Kreative Gedankensprünge wagen – angeregt durch die Skulptur ,,Die Tänzerin“ von Marg Moll, zu sehen in der Ausstellung „Gemischtes Doppel: Die Molls und die Purrmanns“ (Foto: Josh Schlasius)

Ganz und gar empfehlenswert und ein Beispiel für eine insgesamt gelungene Ausstellung, sprich ein Kontrast zu dem oben geschilderten Phänomen, ist das „Gemischte Doppel: Die Molls und die Purrmanns“. Großartige Umsetzung, einwandfreie Begleittexte und ein angenehm neutral gehaltenes Angebot an jeden Besucher, sich diese spezielle Welt frei zu eigen zu machen. Seit der Eröffnung war ich sechs oder sieben Mal, ich zähle nicht mehr mit, vor Ort, bis ich mit allen Details durch war. Dem folgt die Kür: Ich spaziere durch die Räume, verweile vor meinen Lieblingen, lese aber nichts mehr.

Den eigenen Gedanken Spielraum lassen: Die Ausstellung „Gemischtes Doppel: Die Molls und die Purrmanns“ lädt dazu ein. (Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden)

Tipp: Die Ausstellung „Gemischtes Doppel: Die Molls und die Purrmanns“ läuft noch bis zu 18. Februar 2024. Führungen dazu finden sich im Museumsprogramm.

Anne-Marie Djaković


Zur Person
Dr. Anne-Marie Djaković, zurzeit freischaffend im Bereich Textarbeit und Lektorat tätig, engagiert sich bei Projekten rund um Literatur, Kunst und Kultur. Seit 2020 ist die Wahl-Mainzerin Mitglied bei den Freunden des Museums Wiesbaden. Sie wertschätzt das Haus der Kunst und Natur als „zweites Zuhause“, in dem sie gerne bei den Jours fixes oder Künstlergesprächen auf Gleichgesinnte trifft. (red)

 

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