Kunstvoll und Naturnah

HAP Grieshaber. Gedanken zum sprechenden Künstler

Sprache ist ein Spiegel der Zeit und ist daher stetig im Wandel, passt sich an Bedürfnisse und Ereignisse an und wird von der Instanz bestimmt, die Sprache als Mittler für Informationen nutzt: der Sozialgesellschaft. Dass Sprache ein sehr emotionales Thema ist und ihre Flexibilität nicht immer als Chance betrachtet wird, zeigen die zumeist nur schwarz-weiß geführten Debatten um gendergerechte Sprache (aber darum soll es heute nicht gehen).

HAP Grieshaber. FORM|SPRACHE, Ausstellungsansicht (Foto: boeckheler 2023)

Als man 2005 ein neues Wort prägte, um einen Gemütszustand zu beschreiben, der sonst immer nur paraphrasiert wurde, ließ sich dadurch auch das Augenmerk auf die Bedürfnisse und Sorgen einer Gesellschaft lenken: Solastalgie (ein zugegebenermaßen erstmal etwas sperrig klingender Begriff).  Solastalgie kennzeichnet dieses drückende Gefühl von Frust und Hoffnungslosigkeit, wenn die heimatliche Umgebung verändert oder zerstört wird – und das ist wiederum gar nicht so sperrig, sondern sehr konkret. Solastalgie kann daher ein Gefühl des Verlusts sein, der Trostlosigkeit, aber auch der Zugehörigkeit zur direkten oder indirekten Umgebung.

HAP Grieshaber. FORM|SPRACHE, Ausstellungsansicht (Foto: boeckheler 2023)

Bei Deutschlandfunk Kultur wurde das Wort zuletzt als „Der Schmerz über die Umweltzerstörung“ definiert und der bei dem Beitrag eingeladene Philosoph Jean-Pierre Wils gab darin eine Szene wieder, die man selbst nur allzu gut kennt: Der Blick aus dem Zug hinaus in die schnell vorbeiziehende Landschaft in der Sommerhitze. Ein Bild, das einerseits geprägt ist von Wiesen und Wäldern, aber andererseits genauso von Industrieansichten und parallel verlaufenden, stark frequentierten Landstraßen. Aus dem klimatisierten Innen schauend, zieht raschen Blickes die wasserbedürftige Natur vorbei und die Diskrepanz könnte nicht größer sein.

HAP Grieshaber. FORM|SPRACHE, Ausstellungsansicht (Foto: boeckheler 2023)

Man könnte HAP Grieshaber heute Solastalgie diagnostizieren, denn wenn man sich heute seine vor mindestens 40 Jahren entstandenen Grafiken ansieht, lassen sich schnell Verweise auch auf jüngste Geschehnisse ziehen: die Waldbrände im August dieses Jahrs in Griechenland und flutartiger Regen Anfang September, das Erdbeben in Marokko, die Flutkatastrophe in Libyen ­– um nur drei Länder zu nennen, die in den letzten Monaten schmerzlich u.a. klimawandelbedingte Katastrophen ereilt haben. Reagierte Grieshaber beispielsweise 1980 mit dem Plakat „Solidarität mit Erdbebenopfern“ auf die Geschädigten, Verletzten und Gestorbenen des Erdbebens in der Irpinia desselben Jahres, würde sein aktionistischer und humanistischer Tatendrang und Moralkompass auch 2023 deutlich ausschlagen.

HAP Grieshaber, Solidarität mit Erdbebenopfern, 1980/81, Offsetdruck nach Holzschnitt, Privatsammlung (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Sozialisiert in bewegten Jahren und Jahrzehnten (mit einem Leben von 1909 bis 1981 hatte Grieshaber einige Krisen zu verarbeiten!), galt sein sensibler Blick all jenen Bereichen und Personen, denen Unrecht geschah: malgré tout – „trotz allem“ war daher sein Credo und Mantra, das in sicher nicht wenigen Momenten der Verzweiflung über die unendlichen Baustellen ihm immer wieder neue Kraft gegeben hat, um weiterzumachen und für seine Ideale einzustehen. Ich denke davon können wir uns heute auch eine Scheibe abschneiden.

Jana Dennhard


Tipp: Zum Podiumsgespräch mit Wolfgang Glöckner am 7. Dezember, 18 Uhr im Museum Wiesbaden, über den politischen HAP Grieshaber laden wir Sie herzlich ein.

 

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