Serientäter und Konsumpromoter

Günter Fruhtrunk und die Kunst nach 1945

Es gibt sie immer wieder – Künstlerinnen und Künstler, die auch für die Werbung und als Gestalter für Alltagsgegenstände arbeiten. Allen voran Josef Hoffmann, der kurz nach 1900 für die Wiener Werkstätten Porzellantassen, Vasen und Silberschalen entworfen hat. Auch Markus Lüpertz oder Marc Chagall sind bekannt für ihre Kirchenfenster, und Damien Hirst lässt bei Lalique im Elsass gläserne Totenschädel fertigen. Aber ein Künstler, der für einen Discounter eine Plastiktüte entwirft – „Pfui!“ möchte man sagen. Und ein bisschen so muss sich auch Günter Fruhtrunk gefühlt haben, als er im Auftrag von Aldi Nord 1970 die inzwischen legendäre diagonal blau-weiß gestreifte Plastiktüte schuf, in der jeder Pralinen, Butter, Milch und Äpfel im Sonderangebot nach Hause tragen konnte. Zumindest gibt es dazu jene Geschichte: Fruhtrunk unterrichtete damals an der Akademie in München, und nach der Auftragsannahme für den Entwurf der Aldi-Tüte soll er seine Klasse mit den Worten betreten haben „Ich habe gesündigt“. Gleichzeitig wanderten 400 Mark in die Kaffeetasse.

Besucherin mit Aldi-Tüte in der Ausstellung. © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

In Kunstkreisen hat dieses Alltagsobjekt dem Ruf von Günter Fruhtrunk nachhaltig geschadet, denn auch ohne die Ökobewegung mit ihren Jutetaschen galt es in den 1970er Jahren als „in“, gegen den Kapitalismus und Konsum zu agieren. Vergessen wird dabei aber leider, dass Fruhtrunk auch den „Quiet Room“ im Auftrag der Bundesregierung für das UNO-Gebäude in New York entworfen hat. Eine fantastische Gestaltung voller diagonaler Wandpaneele und mit farbigen Bahnen.

„Quiet Room“ im Foyer des Sitzungsraums des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (UNO-Konferenzgebäude, New York), 1978 (Foto: Architekturmuseum TUM)

Doch es wäre viel zu kurz gegriffen, den Künstler Günter Fruhtrunk allein in die Ecke der angewandten Kunst zu schieben. Denn, so Kurator Jörg Daur, er war auch ein Serientäter. Immer wieder finden sich im Frühwerk Elemente, die in gleich mehreren Bildern vorkommen. Ganz markant ein Kreis in einem unregelmäßigen Rechteck. Fruhtrunk findet nach dem zweiten Weltkrieg zu einer geometrisch-abstrakten Bildsprache, bei der sich Formen und Elemente collageartig überlagern. Es scheint, als blicke man als Betrachter in einen Raum, in dem angefangene Architekturmodelle hinter- und übereinander gestapelt zurückgelassen wurden. Räumlichkeit aus der flachen Bildebene heraus schaffen zudem Materialien wie Sand und Kies, die Fruhtrunk in seine Farben mischt.

Günter Fruhtrunk, Statische Komposition, ca. 1952 ⁄ 54, Courtesy Ulrike Fruhtrunk-Dehn/Galerie Michael Haas, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 (Foto: Lea Gryze)

Anregungen von Victor Vasarely, dem Papst der damaligen Kunstszene sind unverkennbar. Im Museum Wiesbaden hängen diese Bilder in direkter Nachbarschaft zu verwandten Werken von Otto Ritschl und Willi Baumeister – waren also Zeitgeist; zumindest für jene, die sich der vorherrschenden Abstraktion verschrieben hatten. Nur wenige Künstlerinnen und Künstler konnten nach dem zweiten Weltkrieg mit all seinem Grauen figürlich arbeiten. So auch Günter Fruhtrunk, er war durch eine Kopfverletzung traumatisiert, und die gedämpften Farben seiner Bilder scheinen von einer Depression zu erzählen. Das Frühwerk aus den 1950er Jahre wurde bisher selten öffentlich gezeigt.

„Mit anderen Auseinandersetzungen war es also der nachhaltige Einfluss sowohl von Léger als auch von Arp, der sich mit meiner konstruktivistischen Arbeitsperiode vollzog. Er führte mich zur konkreten Kunst.“

Günter Fruhtrunk, 1923 in München geboren, studiert zuerst Architektur, wird dann aber einberufen und wechselt nach dem Krieg zum Studium der Malerei. Immer wieder zieht es ihn nach Paris, wo die künstlerische Avantgarde arbeitet, ab 1954 nimmt er sich eine Wohnung in der französischen Metropole. In der Malerei wird der Bildraum jetzt aufgebrochen. Geknickte Bänder schweben neben geraden Bahnen und Kreisen frei im Raum. Die Welt des Malers wird weiter – die Formate werden größer, die Bilder farbiger, ein helles Türkis oder lichtes Blau sind Hintergrund für die ersten Streifenbilder. Erstmals setzt Fruhtrunk diagonale Bänder und Streifen ein – das Grundprinzip seines Œuvres!

Ausstellungsansicht mit Blick auf Arbeiten aus der Mitte der 1950er Jahre (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

„Andererseits ermöglichte mir mein Aufenthalt in Paris mein Wissen über den Bildraum zu bereichern, und vor allem über Farbwerte. Für einen Maler kann es nicht darum gehen einfach die französischen Meister zu imitieren, vielmehr muss er, ausgehend von einer erstklassigen Lehre, seinen eigenen Weg entdecken.“

Günter Fruhtrunk hat seinen Weg gefunden. War er bisher von einer Pariser Galerie vertreten worden, so findet 1963 die erste große Ausstellung seiner Bilder in Deutschland statt, und zwar in Dortmund im Museum am Ostwall. Hier hängen Großformate mit diagonalen Bändern in schwarz-gelb, rot-grün, schwarz-grau-weiß. Die scharf gezogenen Ränder flimmern im Zusammenspiel der kräftigen Farben im Auge des Betrachters und erzeugen malerische Lichtwelten. Die starke Bewegung entsteht auch dadurch, dass Fruhtrunk die Bänder verjüngt oder versetzt – übrigens ein Prinzip aus der Musik. Angeblich hat der Maler im Atelier lautstark Bach gehört. Rhythmus und Lautstärkevariationen, der Einsatz verschiedener Instrumente scheinen so ihren Weg in die Bilder von Fruhtrunk gefunden zu haben.

„… meine Bildmittel sind Wirkung der Farbe, sinnliche Energie. Nicht-Farbe als Energie und jeweils Rhythmisierung als innerstes Prinzip der Geistestätigkeit.“

Günter Fruhtrunk, Konstantes Gelb, 1965-69, Walter Storms Galerie, München © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Flirrendes Gelb, streifiges Braun und strahlendes Blau – sofort hat man als Betrachter die derzeit leuchtenden Rapsfelder im Kopf, wenn man das Spätwerk sieht. Es gibt keine strenge Linienführung mehr, keine klaren Konturen, der Farbauftrag ist wieder dick und pastos wie im Frühwerk. Fast scheint es sich in den Bildern um einen malerischen Reigen von Feldern zu handeln, die aneinanderstoßen. Ist es die Versöhnung eines konstruktiv-konkreten Künstlers mit der realen Welt? Und wieso hat dieser Maler eigentlich zeit seines Leben Landschaften aquarelliert, aber nie öffentlich gezeigt (nachzulesen auf der Website des Lenbachhauses/München)? Wieso hat er, obwohl er die Informellen abgelehnt hat, die neben den Abstrakten die Pariser Kunstszene der 1950er Jahre bestimmten – wieso hat er wie eben jene Künstler in seinen Bildern mit Sand und Kies gearbeitet? Und warum gehört er nicht zu den Op-Art-Künstlern der 1960er Jahre, obwohl seine Bilder doch an sich deren Credo verkörpern: Die Werke sollen den Betrachter direkt ansprechen, einbeziehen und sie fordern eine Ergänzungsleistung durch Auge und Geist des Betrachters.

Günter Fruhtrunk, Orpheus, 1982, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. Schenkung 2000 aus dem Nachlass Günter Fruhtrunk © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Es gibt viele Fragen zum Werk des international hochgeschätzten Künstlers Günter Fruhtrunk, der 1968 auf der 4. documenta in Kassel vertreten war und auf der Biennale in Venedig, ab 1967 eine Professur an der Akademie der Bildenden Künste München innehatte. Sicher aber ist, das dieser Künstler seinen ganz eigenen Weg in der Nachkriegskunst gegangen ist und ein unverwechselbares Werk hinterlassen hat. Auch als Mensch wurde er wohl schmerzlich vermisst, denn im Aufzug der Münchner Akademie gab es nach seinem Tod die anonyme Inschrift „Fruhtrunk, komm wieder!“

Günter Fruhtrunk hat sich 1982 in seinem Atelier das Leben genommen.

Martina Caroline Conrad


Alle Zitate stammen aus dem Katalog zur Ausstellung „Günter Fruhtrunk – Retrospektive 1952–1982“, der im Museumsshop angeboten wird. 

 

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