Interview mit Hanna Bekkers Enkelin Marian Stein-Steinfeld

„Alle Freiheit“ – und gute Argumente

Das Treffen mit Marian Stein-Steinfeld findet im Café Jawlensky des Museums Wiesbaden statt. Ein guter Ort für unser Gespräch. Denn ihre Großmutter Hanna Bekker vom Rath, war mit Alexej von Jawlensky befreundet – ebenso wie mit Karl Schmidt-Rottluff oder etwa Erich Heckel. Die Enkelin ist derzeit viel unterwegs, um aus der Biografie der beindruckenden Großmutter zu lesen. Während sie dabei eher nicht die persönlichen Passagen auswählt, ist Marian Stein-Steinfeld bei unserem Treffen bereit, über ihre Erinnerungen an Hanna Bekker vom Rath und über ihren eigenen Werdegang zu erzählen. Die Kabinettausstellung anlässlich des 125. Geburtstags der Kunstfreundin, die selbst auch Künstlerin war und unter anderem bei Ida Kerkovius prägenden Unterricht nahm, ist noch bis Anfang Februar im Museum Wiesbaden zu sehen.


Blick vom Blauen Haus aus in den Garten: Marian Stein-Steinfeld liebt dieses Bild sehr. Und vermisst es derzeit. Im Februar geht es wieder aus dem Museum zurück in ihre Wohnung. (Foto: Museum/Bernd Fickert)
Blick vom Blauen Haus aus in den Garten: Marian Stein-Steinfeld liebt dieses Bild sehr. Und vermisst es derzeit. Im Februar geht es wieder aus dem Museum zurück in ihre Wohnung. (Foto: Museum/Bernd Fickert)

Frau Stein-Steinfeld, haben Sie Gemeinsamkeiten mit Ihrer Großmutter Hanna Bekker vom Rath?

Ich denke, die Freude an der Kunst und in gewisser Weise den speziellen Zugang zur Kunst – mit dem Unterschied, dass ich nicht malen kann. Mit Zugang meine ich, dass man oft die Persönlichkeit des Künstlers kennt, dies mehr im Vordergrund steht als das Kunsthistorische.

Sie hatten eine besonders enge Bindung zu ihrer Großmutter, wuchsen im Blauen Haus in Hofheim auf. Machte dies es leichter eine Biografie zu schreiben, oder eher schwieriger?

Mir war bewusst: Es legt mir eine große Verantwortung auf, ich habe sehr, sehr lange gezögert. Habe mich gefragt: Ist sie so interessant, dass man ein Buch über sie schreibt? Mein Sohn fragte, als er neun war: „Wer interessiert sich denn noch für eine Frau, die schon so lange tot ist?“

Bei Lesungen wählen Sie keine Passagen, die ins Persönliche gehen …

Nein, das mache ich nicht. Aber mir war beim Schreiben schon klar, dass es den persönlichen Einblick geben muss, ich beanspruche ja auch eine gewisse Zeitzeugenschaft.

Sie haben das gut gelöst in Ihren Buch mit dem vorangestellten Kapitel „Aus dem persönlichen Blickwinkel“. Wie muss man sich die Vorarbeit für dieses umfangreiche Werk über Leben und Schaffen der Malerin, Mäzenin, Sammlerin und Vermittlerin vorstellen? Sie begannen mit dem Schreiben 2010?

Ja, 2010/2011, fing ich mit der Biografie an. Nach dem Tod von Hanna Bekker vom Rath 1983 hatte ich schon begonnen, Material zu sammeln, damals gab es noch das Kunstkabinett in Frankfurt. Im Gästebuch aus der Berliner Zeit meiner Großmutter mit der Wohnung in der Regensburger Straße fand ich Interessantes. Ich habe verschiedene Adressen angeschrieben und gebeten, mir zu erzählen. Es kamen Reaktionen, ich erhielt viele Briefe. Meine Mutter unterstützte mich damals bei der Arbeit. Heute leben diese Wegbegleiter meiner Großmutter alle nicht mehr.

Wie ging es dann weiter?

Im zweiten Schritt suchte ich nach Arbeiten der Hanna Bekker vom Rath. Das war schwierig, sie hatte selten signiert. Damals hatte ich schon die Idee, eine Biografie zu schreiben. Es entwickelte sich dann.

In Ihrem Vorwort schreiben Sie, dass der frühere Wiesbadener Museumsdirektor Volker Rattemeyer „anregende Impulse“ gab und dass Sie in jener Zeit Ihre biografischen Forschungen begannen. Das war 1987, als in Wiesbaden die Präsentation der Sammlungs-Schwerpunkte vorbereitet wurde…  Fühlen Sie sich mit dem hiesigen Museum besonders verbunden?

Absolut. Für uns war es eine große Freude, dass das Museum Wiesbaden die Sammlung bekam.

Sie erwähnen auch die frühere stellvertretende Museumsdirektorin Renate Petzinger als enge Wegbegleiterin Ihres ambitionierten Vorhabens. Haben Sie noch Kontakt zu unserem Vereinsmitglied?

Ja, ich habe noch Kontakt. Sie hat mir sehr bei organisatorischen Dingen geholfen, ich brauchte ja finanzielle Unterstützung. Diese kam dann unter anderem vom Verein zur Förderung der Bildenden Kunst und von der Hessischen Kulturstiftung. Renate Petzinger hat mir immer wieder mal Mut gemacht. Nach Fertigstellung der Biografie führte mich auch rasch der Weg zu ihr und auch zu Volker Rattemeyer nach Kassel, um ihnen Exemplare zu überreichen.

Kommen wir zurück zu Ihrer Großmutter, welche ihrer Eigenschaften haben Sie als Kind besonders beeindruckt?

Ihr Humor. Ich habe immer wieder Freude an dem Porträt von ihr, das Benno Walldorf gemalt hat, es ist ja fast eine Karikatur. Wie sie auf diesem Bild zwinkert, das war typisch für sie.

Würden Sie sagen, dass durch die Nähe zur Großmutter Ihr beruflicher Weg vorgezeichnet war?

Es war ihr sicher eine Freude zu sehen, dass ich letztlich diesen Weg eingeschlagen habe. Zunächst hatte ich Judaistik studiert und im Nebenfach Kunst, das war mehr aus Pflichtgefühl. Ich hatte zuvor schlechte Kunstlehrer…  Als ich dann einen Kurs über jüdische Kultgeräte absolvierte, dann eine Ausstellung mit aufbaute und an einem Katalog darüber arbeitete war das der Auslöser für mein tieferes Interesse an der Kunst.

Sie waren dann auch im Frankfurter Kunstkabinett Ihrer Großmutter engagiert?

Ja, das machte mir Freude. Ich bin mehr ein praktischer Mensch, Kataloge erstellen, Ausstellungen vorbereiten, das liegt mir. Meine Großmutter freute sich darüber.

Das charakteristische Zwinkern der Hanna Bekker vom Rath, festgehalten von dem Künstler Benno Walldorf. (Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert)
Das charakteristische Zwinkern der Hanna Bekker vom Rath, festgehalten von dem Künstler Benno Walldorf. (Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert)

Hanna Bekker vom Rath hatte auch eine sehr große Affinität zum Theater. Teilen Sie diese?

Ich gehe gerne ins Theater, früher am liebsten mit den Kindern und mit Freunden – weil ich gerne nach der Aufführung darüber diskutiere.

„Alle Freiheit“, schreiben Sie aus dem persönlichen Blickwinkel in Ihrem Buch, war die Lebensmaxime Ihrer Großmutter. Wie haben Sie das als Kind und Jugendliche erlebt?

Da gehört auch wieder das schon erwähnte Zwinkern dazu. Der Ausspruch war oft ironisch gemeint. Aber sie hat sich schon auch diese Freiheit genommen. Sie hat sie anderen genauso gewährt.  Man musste ihr aber immer auch gute Argumente bringen. So unterstützte sie mich auch, als ich für einen Studienaufenthalt nach Israel ging.

Nochmal zum Frankfurter Kunstkabinett. Wie sind Ihre Erinnerungen?  Sie sagten einmal, das sei ein eigenes Forschungsthema.

So ist es, im Buch berührt es nur einige Bereiche. Ich sehe das Kunstkabinett noch vor mir, wie ich es in Kindertagen erlebte, erblicke die Einrichtung vor meinem geistigen Auge. Als Schülerin arbeitete ich samstags dort, bei meiner Großmutter und ihrem Kollegen, Herrn Küppers. Ich wurde in den Keller geschickt, sollte Ordner leerräumen. Da waren Briefe von Künstlern enthalten. Diese Arbeit hätte man nicht einer Schülerin überlassen dürfen…

Sammeln Sie eigentlich selbst, und wenn ja, welche Kunstrichtung ist Ihnen persönlich die liebste?

Sammeln? Nein. Das ist zu hoch gegriffen. Aber wenn ich etwas sehe, das mir gefällt, kaufe ich schon mal. Bei der Kunstrichtung bin ich erblich vorbelastet: Es ist der Expressionismus. Und hier besonders Werke von Künstlerinnen. Hanna hatte viele Künstlerinnen ausgestellt.

Welches der Werke aus der Sammlung Ihrer Großmutter, die in Wiesbaden ausgestellt sind, mögen Sie besonders?

Den „Ochsenstall“ von Max Beckmann. Das Bild hing im Blauen Haus neben dem Flügel. Es wurde 1933 geschaffen, die verschiedenen Ochsen stehen für verschiedene Charaktere in der Nazi-Zeit.! Ich finde die Interpretation von Kurator Roman Zieglgänsberger, die man in der Ausstellung neben dem Bild lesen kann, sehr interessant. Er sagt, das Bild sei „Zeitgeschichte pur“. Nur der eine Ochse bietet Hitler mutig die Stirn …

Ochsenstall: Dieses Bild von Max Beckmann, das zu Hanna Bekkers Sammlung gehört, hat eine ganz besondere Aussage. Es ist eine Dauerleihgabe des Vereins zur Förderung der Bildenden Kunst in Wiesbaden. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)
Ochsenstall: Dieses Bild von Max Beckmann, das zu Hanna Bekkers Sammlung gehört, hat eine ganz besondere Aussage. Es ist eine Dauerleihgabe des Vereins zur Förderung der Bildenden Kunst in Wiesbaden. (Foto: Museum Wiesbaden/Bernd Fickert)

Ihre Großmutter hat ja, wie Sie es in Ihrem Buch eindrucksvoll schildern, vielen Kunstschaffenden geholfen, die während er Nazi-Zeit große Probleme bekamen und nicht mehr arbeiten konnten.

Ja, sie hat vom Regime unterdrückte Künstler im Blauen Haus in Hofheim beherbergt und Werke von ihnen heimlich in ihrer Atelier-Wohnung in Berlin bis 1943 ausgestellt.

Wenn Sie das Engagement der Hanna Bekker vom Rath zusammenfassen sollten, wie würden sie es aus Enkelinnen-Sicht beschreiben?

Sie war von Jugend an ein Widerspruchsgeist, ganz besonders gegen Autoritäten. Ihre Freundschaft mit den Künstlern beinhaltete auch immer deren Unterstützung, wenn sie diese brauchten. Das war ihre sehr ausgeprägte humanistische Seite, die auch etwas sehr Konservatives und Bewahrenswertes hatte. Ihre Einstellung lautete: Wenn jemand in Not ist, und ich helfen kann, dann helfe ich. Sie war Vermittlerin, und sie war nie auf Profit aus. Sie war eine Handelnde für Kunst und Künstler, aber keine Händlerin.

Als Malerin trat sie nicht so sehr in den Fokus?

Die eigene Malerei stellte sie nie in den Vordergrund – Sie konnte übrigens zu jedem Bild ihrer Sammlung Spannendes erzählen. Und sie hat selbstverständlich die Werke immer wieder ausgeliehen.  Etwas Interessantes gibt es übrigens noch zu ihren Porträts zusagen.

Was ist das Besondere?

Sie ließ nie Modell stehen. Es gibt ein sehr charakteristisches Porträt von Jawlensky, das entstand drei Jahre nach seinem Tod. Leider wissen wir nicht, wo es ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging ihre Großmutter viel auf Reisen…

Mit fast 60 ist sie allein nach Brasilien gereist, was damals nicht selbstverständlich war, ein Land, in dem die Männer die Vormachtstellung haben. Ihre wichtigste Reise führte sie 1955/56 rund um die Welt. Immer war sie mir ihrem berühmten Bilderkoffer unterwegs, der von ihr selbst bemalt worden war. Aus vielen Ländern hat sie Kunst mit nach Frankfurt gebracht, auch von Emigranten, die vor dem Nazi-Regime geflohen waren. Sie war Botschafterin der Kunst, leistete Pionierarbeit. Sie sorgte für einen Austausch – und der funktionierte.

Gibt es noch einen Wunsch von Ihnen im Zusammenhang mit dem Vermächtnis Ihrer Großmutter?

Ihre Lebenseinstellung hat in der heutigen Zeit nicht an Bedeutung verloren. Und so hoffe ich, dass sich auch jüngere Menschen von der Biografie anregen lassen. Und ich hoffe, dass Forscher noch Wichtiges zur Person Hanna Bekker vom Rath und ihrem Wirken entdecken. Zum Beispiel im Gästebuch aus Berlin. In der Biografie sind alle Seiten abgebildet.

Das Interview führte Ingeborg Salm-Boost

Marian Stein-Steinfeld hat das Archiv Hanna Bekker vom Rath aufgebaut und ihre Großmutter nun in einer Biografie gewürdigt. (Foto: Fotostudio Herbert Fischer Frankfurt)
Marian Stein-Steinfeld hat das Archiv Hanna Bekker vom Rath aufgebaut und ihre Großmutter nun in einer Biografie gewürdigt. (Foto: Fotostudio Herbert Fischer Frankfurt)

Zur Person

Marian Stein-Steinfeld (64) hat ein umfangreiches Archiv über das Leben und Schaffen ihrer Großmutter Hanna Bekker vom Rath aufgebaut. Sie ist freischaffend als Kuratorin tätig und auch in der Museumspädagogik ist die Enkelin Hanna Bekkers zu Hause. Mehr als zehn Jahre hat Marian Stein-Steinfeld noch zu Lebzeiten der Großmutter im Frankfurter Kunstkabinett gearbeitet. Außerdem war sie 25 Jahre im Auftrag der Stadt Hofheim im Stadtmuseum für den Bereich Kunst zuständig. Die Eröffnung fand 1993 zum 100. Geburtstag der Hanna Bekker vom Rath mit der Ausstellung „Die Malerin Hanna Bekker“ statt.

Besonders verbunden ist sie der Gesellschaft für Fotografie, die sie begründet hat. Diese ist zu Ehren von Martha Hoepffner entstanden, die ihre Fotoschule gegenüber dem Blauen Haus hatte. Sie gehörte zur Avantgarde der Fotoschaffenden und ist im Stadtmuseum Hofheim sehr vertreten. Alle drei Jahre wird ein nach Hoepffner benannter Preis ausgeschrieben, der die Schwarz-Weiß Fotografie pflegt und stets ein besonderes Thema hat. Nicht zuletzt Nachwuchsfotografen sind angesprochen.

Am Museum Wiesbaden arbeitete Marian Stein-Steinfeld mit, als Ende der 90er Jahre Biografien der Künstlerinnen des 20 Jahrhunderts erstellt wurden, seither ist sie immer im Kontakt mit dem Museum. Sie liebt Gartenarbeit und betreut gerne ihre Enkel in Frankfurt. Als einziges Enkelkind hatte sie den besonders engen, ständigen Kontakt zur Großmutter im Blauen Haus, denn ihre Tante in Hofheim, die jüngste Tochter der Künstlerin und Mäzenin, übernahm die Mutterrolle. Das denkmalgeschützte Blaue Haus ist heute im Privatbesitz und nicht zugänglich.

Die umfangreiche Biografie „Hanna Bekker vom Rath – Handelnde für Kunst und Künstler“ von Marian Stein-Steinfeld ist im Verlag der Frankfurter Bürgerstiftung erschienen. Ein detailreiches, spannendes Buch, aus dem die Autorin bereits im Museum Wiesbaden gelesen hat. Hier kann man es auch im Shop für 25 Euro erwerben.  Am 18. Januar wird die Autorin im Stadtmuseum Hofheim aus der Biografie lesen. Interessante Beiträge über Hanna Bekker vom Rath sind im Fernsehen in diesem Herbst erschienen (Hessischer Rundfunk).

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